Zahl der Fühlerglieder – Rätsel ohne Lösung!

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Zahl der Fühlerglieder – Rätsel ohne Lösung!

Beitragvon Merkur » Montag 6. Juli 2015, 16:35

Ein früherer Kollege hat seine Studenten auf Exkursionen immer mal wieder beeindruckt, indem er eine Hummel einfach in die Hand nahm, ohne gestochen zu werden. Dies nach Erklärungen über den Wehrstachel und seine evolutive Ableitung vom weiblichen Legestachel.
Geschickt hatte er sich Männchen ausgesucht. Auf die Frage, wie er die so schnell von Arbeiterinnen unterscheiden könne, war die Antwort: Zählen Sie die Fühlerglieder: Männchen haben 13, Arbeiterinnen nur 12!
Das geht natürlich nicht beim lebenden Tier, aber die Fühler hängen bei den Männchen auch etwas mehr, und daran kann man sie mit einiger Erfahrung erkennen. ;)

Was aber hat es mit den merkwürdigen Zahlen auf sich? Nicht nur bei Hummeln, Bienen und Wespen finden wir stets ein Fühlerglied mehr bei den Männchen, und immer sind es 12 bzw. 13 Glieder. Auch bei den Ameisen trifft man meist auf diese Zahlen, obwohl es einige Ausnahmen gibt.
Man könnte spekulieren, dass die Männchen längere Fühler haben und daher ein Glied mehr benötigen. Aber wenn man so die Gattungen durchmustert, trifft man auch Arbeiterinnen mit sehr langen Fühlern und trotzdem nur 12 Gliedern, aber auch Männchen mit deutlich weniger als 13 Fühlergliedern. – Ich habe noch nirgends eine plausible Erklärung gefunden, weder für die absoluten Zahlen, noch für den „kleinen Unterschied“ zwischen :mm: und :kk: .

Nun sind besonders bei den Ameisen die geknieten Fühler charakteristisch, wobei dieses Merkmal bei den weiblichen Kasten stärker ausgeprägt ist als bei den Männchen: Auf ein langes Grundglied, den Fühlerschaft, folgt ein mit Muskulatur ausgestatteter, gegenüber dem Schaft aktiv beweglicher Pedicellus, an dem die Geißel mit vielen chemischen und taktilen Sensillen sitzt. Sie enthält keine Muskeln und wird nur durch den Blutdruck (Hämolymphdruck) in Form gehalten.
Die Konstruktion erinnert mich irgendwie an ein Selfie-stick. Dank des langen Schaftes können die Antennenspitzen weit auseinander gehalten werden, einen breiten Raum vor der Ameise abtasten. Aber die besonders empfindlichen Fühlerspitzen müssen auch ganz in die Nähe des Mundes und der Mandibeln gebracht werden, wenn dort Eier oder Larven zu manipulieren sind. So wird die lange Antenne praktisch im Bereich des Pedicellus abgeknickt, bis die Geißelspitze wieder fast an die Ansatzstelle des Schaftes heranreicht. Männchen betreiben keine Brutpflege, und so kann bei ihnen der Schaft relativ kurz sein, während sie oft sehr viel längere Geißeln haben als die Weibchen.

Nun noch mal zu den Fühlergliederzahlen: Es sind nicht immer :k: 12/ :m: 13; oft ist die Zahl reduziert, nie ist sie vergrößert! Braucht man längere Fühler, werden Schaft und die einzelnen Antennenglieder verlängert (wie die Halswirbel bei Giraffen: die haben auch nur 7, so wie wir).
Für manche Gattungen ist die Fühlergliederzahl ein Bestimmungsmerkmal, bei anderen variiert sie zwischen den Arten innerhalb einer Gattung. So hat die Gattung Solenopsis 10/12-gliedrige Fühler ( :k: / :m: ).
Leptothorax haben immer 11/12-gliedrige Fühler; bei Temnothorax in Europa sind es (mit einer Ausnahme) 12/13, im östlichen Nordamerika dagegen dominiert eine Gruppe (die „acorn ants“) mit 11/12, während im Westen, in den Rocky Mountains, wieder Arten mit 12/13 Fühlergliedern häufiger sind.
Innerhalb unserer europäischen Sklavenhalter der Gattung Myrmoxenus gibt es weitere Reduktionen. Früher unterschied man Myrmoxenus (eine Art mit 12/13) von Epimyrma (im Prinzip 11/12), unter anderem aufgrund dieses Unterschieds. Doch hat dieser Unterschied anscheinend keinerlei Bedeutung. M. gordiagini (12/13) ist offenbar die ursprünglichste Myrmoxenus-Art, “noch“ mit der Fühlergliederzahl einer selbständigen Ausgangsart aus der Gattung Temnothorax. Sämtliche anderen bekannten Myrmoxenus-Arten haben 11/12 oder weniger.

Anhand einiger Mikroskop-Fotos lässt sich zeigen, wie solche Reduktionen zustande kommen können.
Myrmoxenus corsicus ist eine stark abgeleitete Art. Sie hat keine eigenen Arbeiterinnen mehr, kann also keine Raubzüge mehr durchführen, weist aber die charakteristische Koloniegründung der anderen Myrmoxenus-Arten auf (Die Parasiten-Königin dringt in das Wirtsnest ein und "würgt" die Wirtskönigin mittels ihrer Mandibeln am Hals, bis der Tod eintritt; das kann Wochen und Monate dauern!).

1-M.cors.W.Ant.norm.10515.jpg
Bild 1: M. corsicus Weibchen, normale Antenne mit 11 Fühlergliedern

2-M.cors.M Ant 02, 10-glied.-2Fusionen.jpg
Bild 2: M. corsicus Männchen mit nur 10 Fühlergliedern statt normal 12. Zwei Fusionen zwischen den Fühlergliedern 5 und 6 sowie zwischen den beiden Endgliedern der Fühlerkeule.

3-M.cors.MAnt3Fustx.jpg
Bild 3: M. corsicus Männchen; die Fusion zwischen Segment 5 und 6 stärker vergrößert
Man erkennt ein längeres Glied an Stelle von 5 und 6. Der Pfeil weist auf eine Kerbe hin, einen Rest der Segmentgrenze. – In der Abb. sind die Segmente nummeriert, vom Schaft (Sc, = 1) über den Pedicellus (Ped, =2), zu den Geißelgliedern (3 bis 8 gezeigt).

4-M.cors.W.Ant.Fusion3.10519.jpg
Bild 4: M. corsicus Weibchen, Antenne mit teilweiser Fusion der beiden Endglieder

Wie diese Bilder zeigen, können innerhalb einer Art infolge von "Verschmelzungen" variable Segmentzahlen entstehen, die nicht immer leicht zu erkennen sind. "Verschmelzung","Fusion" sind dabei deskriptive Bezeichnungen. Wie so etwas während der Entstehung in der Puppenphase zustande kommt, ist unbekannt: Ob sich gleich gelegentlich unvollständig aufgeteilte Doppelsegmente bilden, oder ob eine ungegliederte Geißelanlage nachträglich unterteilt wird?

Normalerweise werden bei der Zählung der Fühlerglieder der Schaft (= 1) und der Pedicellus (= 2) mitgezählt. Es gibt jedoch Bestimmungsschlüssel, bei denen nach der Zahl der Geißelglieder gefragt ist, also ohne die beiden Grundglieder. Da gilt es aufzupassen!

Nun sollte das eigentlich nur ein kurzer Beitrag werden, aber die Sache ist doch vielseitiger als ich zunächst dachte. Vielleicht findet's doch der eine oder andere interessant. ;)

MfG,
Merkur
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Re: Zahl der Fühlerglieder – Rätsel ohne Lösung!

Beitragvon Steffen Kraus » Mittwoch 8. Juli 2015, 20:54

Hallo Merkur,
sehr interessantes Thema!
Zu dem Satz,
Ich habe noch nirgends eine plausible Erklärung gefunden, weder für die absoluten Zahlen, noch für den „kleinen Unterschied“ zwischen :mm: und :kk: .,
fällt mir, natürlich nur laienhaft ein,
es könnte ja daran liegen das Männchen, die Duftstoffe von den Weibchen aufnehmen.
Weibchen, geben ja nur Duftstoffe ab und brauchen kein Segment, in dem sich ein ,Organ?, zum wittern befindet.
Könnte ja sein, denn bei vielen Schwärmern sind die Fühler der Männchen auch größer.
Gruß Steffen
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,,es ist nicht wichtig, was andere denken wenn man kommt, es ist wichtig was sie denken, wenn man geht!
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Re: Zahl der Fühlerglieder – Rätsel ohne Lösung!

Beitragvon Trailandstreet » Mittwoch 8. Juli 2015, 21:22

So weit mir bekannt ist, sind die Fühler bei vielen Insekten geschlechterspezifisch unterschiedlich aufgebaut. Mückenmännchen erkennt man schon von weitem an den Fühlern. Das muss sich irgendwann mal evolutionär entwickelt haben. Vielleicht sitzen an den überzähligen Gliedern wirklich noch extra Sensillen.
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Re: Zahl der Fühlerglieder – Rätsel ohne Lösung!

Beitragvon Lenny-NP » Donnerstag 9. Juli 2015, 12:16

Ich dachte auch daran dass die Drohnen beweglichere Fühler brauchen und mehr segmente bedeuten mehr Bewegungsfreiheit.
Auch nur angaben eines Laien
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