Eine Königinnenkaste bei Diacamma? - Ja und Nein!

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Eine Königinnenkaste bei Diacamma? - Ja und Nein!

Beitragvon Merkur » Montag 1. Februar 2016, 09:54

Immer wieder wird in Foren behauptet, dass es bei Diacamma keine Königinnenkaste gebe, weil eine Arbeiterin („Gamergate“) die Funktion der Eierlegerin übernehme, und dass man die Gamergate nicht von den Arbeiterinnen unterscheiden könne.
Im AWiki steht es richtig: http://ameisenwiki.de/index.php/Diacamma (Auch mit „Gamergate“ führt die Suchfunktion zu dieser Seite).

Diacamma-Gemma.jpg
Gemma einer Diacamma-Königin
Die Gemmae sind gelb bis orangerot und sitzen an Stelle von Flügeln links und rechts am Thorax.
Der Kopf dieser Gamergate wäre links. (Bild aus dem AWiki, farbkorrigiert).

- Die Gamergate ist äußerlich anhand der Gemmae erkennbar (bereits mit schwacher Lupenvergrößerung, s. Bild).
- Die Gamergate ist begattet (die griechische Bezeichnung steht für „begattete Arbeiterin“).
- Die Gamergate ist funktionell eine vollwertige Königin: Sie hat ein mit Sperma gefülltes Receptaculum, und sie legt befruchtete Eier, aus denen weibliche Larven schlüpfen.
- Die jungen Arbeiterinnen tragen beim Schlüpfen alle die Gemmae, die ihnen aber die funktionelle Königin abbeißt. Danach sind sie zum Arbeiterinnen-Dasein determiniert und können nicht mehr begattet werden.

AWiki: Nach Taylor (2007) erfolgt die Gründung neuer Kolonien (Bei Diacamma) durch Aufspaltung: Die alte Königin verlässt mit Arbeiterinnen das Nest (ähnlich dem Schwärmen der Honigbienen) und lässt Arbeiterinnen mit Puppenkokons zurück. Die daraus schlüpfenden Jungweibchen versuchen sich gegenseitig die Gemmae abzubeißen. Ein Tier, meistens das zuerst geschlüpfte, behält die Gemmae. Dieses Tier verlässt das Nest, lockt mit einem Sexualpheromon Männchen an, wird begattet und kehrt als Königin in das Nest zurück. Die Paarung einer japanischen Diacamma-Art wurde in Belgien untersucht. Die Verhängung dauert mehrere Stunden; das Männchen wird in dieser Zeit vom Weibchen bzw. seinen Nestgenossinnen getötet. Das Sperma wird in einer gelatinösen Hülle, einer Spermatophore, übertragen (Allard et al. 2002). Die Begattung des jungen Weibchens ruft Veränderungen im Fortpflanzungstrakt der dann jungen Königin (oder Gamergaten) hervor, dessen Strukturen zur vollen Funktionstüchtigkeit heranreifen. Das Entfernen der Gemmae hemmt die Entwicklung der Bursa copulatrix (Begattungstasche) und der Spermathek (Samentasche), die schließlich degenerieren. Eine solche „Arbeiterin“, ohne Gemmae, kann also auch später nicht mehr begattet werden.

Die Verwirrung basiert auf der Doppeldeutigkeit von „Königin“: Fasst man als “Königin“ (queen) nur solche Tiere auf, die Flügel haben und sie nach Begattung abwerfen (morphologische Königinnen), sind die Arten ohne eine solche Königinnenmorphe „queenless“, königinnenlos. Bei Ponerinen gibt es das öfter, eben auch in der ganzen Gattung Diacamma. Leider werden traditionell nach der morphologischen Königinnen-Definition auch junge, noch geflügelte Gynen als "Königinnen" bezeichnet.

Die Verwirrung wird nicht geringer dadurch, dass es auch Gattungen resp. Arten gibt, deren funktionelle Königinnen zwar nicht der ge- bzw. entflügelten Form angehören, sich aber dennoch morphologisch von Arbeiterinnen unterscheiden. Sie werden oft als „ergatoide Königinnen“ bezeichnet, wiederum im morphologischen Sinn, nämlich unabhängig davon, ob sie unbegattet sind, oder nach Begattung tatsächlich die Königinnenfunktion übernehmen. So genannte "Intermorphe" können ebenfalls begattet werden und reproduktive Funktion übernehmen ("intermorphe Königinnen", Bsp. Harpagoxenus sublaevis), oder aber als Arbeiterinnen dienen.

Schließlich gibt es auch tatsächlich Ameisen die man mit Recht als „königinnenlos“ bezeichnen kann: http://ameisenwiki.de/index.php/Pristomyrmex_punctatus
Hier gibt es ausschließlich Arbeiterinnen, die sich thelytok parthenogenetisch fortpflanzen, also ohne Begattung weiblichen Nachwuchs erzeugen. (Obwohl gelegentlich Männchen entstehen, sind keine begatteten Tiere zu finden).

Siehe auch: http://www.ameisenwiki.de/index.php/Bil ... Indonesien

MfG,
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Re: Eine Königinnenkaste bei Diacamma? - Ja und Nein!

Beitragvon Merkur » Montag 1. Februar 2016, 17:22

Kastenterminologie

Vorab: Von mir gestartete Themen und Threads sind nicht mein Privatbesitz. Sie dürfen jederzeit in anderen Foren verlinkt und diskutiert werden!

Allerdings behalte ich mir vor, die „Meinungen“ fachfremder, ggf. sogar anonymer, Kritiker in Frage zu stellen, wo fundierte Sachkenntnis zu fehlen scheint. Ich beziehe mich hier auf http://eusozial.de/viewtopic.php?f=48&t ... 8a2#p37266

Hier sind ein paar Zitate, als Einstieg in die sehr komplexe Materie der Kasten-Terminologie.

http://www.antwiki.org/wiki/Caste_Terminology (Laut „history“ ausschließlich von C. Peeters verfasst, der vehement die „morphologische“ Kastendefinition vertritt.)

PEETERS, C. & CROZIER, R.H. 1988: Caste and reproduction in ants: not all mated egg-layers are “queens”. Psyche 95, 283-288

Die Trennung von Form und Funktion in der Kastendefinition haben wir aufgrund unserer Forschungsergebnisse bereits früher vorgeschlagen:

Buschinger, A., Winter, U. 1976: Funktionelle Monogynie bei der Gastameise Formicoxenus nitidulus (NYL.) ( Hym., Form.). Ins. Soc. 23, 549-558.
http://link.springer.com/article/10.1007%2FBF02223481 (Zusammenfassung und Abstract)

Heinze, J.; Buschinger, A. 1987. Queen polymorphism in a non-parasitic Leptothorax species (Hymenoptera, Formicidae). Insectes Soc. 34: 28-43
http://link.springer.com/article/10.100 ... 205#page-1 (Summary und Zusammenfassung)

HEINZE, J. 1998: Intercastes, intermorphs, and ergatoid queens: who is who in ant reproduction? Insectes Sociaux 45, 113-124.
http://link.springer.com/article/10.100 ... 0400050073 (Abstract)

Buschinger, A., Crozier, R.H.:Towards a unified reproductive Biology of the Hymenoptera. In: Eder/Rembold, Chemistry and Biology of Social Insects.
Verlag J. Peperny, München 1987, p. 251-252
Bei diesem von mir und R. H. Crozier organisierten Symposium der IUSSI wurde die Problematik diskutiert, auch mit C. Peeters.

Zur Information hänge ich die „Introduction“ zu dem Symposium an, die wir abschließend für den Verhandlungsband verfasst haben. Der wichtige letzte Satz wurde leider nur von wenigen späteren Autoren beherzigt.

Bu-Croz.-reprod.biol..jpg
Buschinger und Crozier, Einführung zum Symposium

Des weiteren füge ich meinen Text ein, in dem ich am Ende meinen Vorschlag zu einer eindeutigen Definition von Kasten vorgebracht habe.

Bu-polym.-1987.jpg
Polymorphism... avanced ants.



Leider ist es auch in der Wissenschaft oftmals schwierig, eingefahrene, aber längst nicht mehr zweckmäßige Definitionen durch präzisere zu ersetzen. :roll:

MfG,
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Re: Eine Königinnenkaste bei Diacamma? - Ja und Nein!

Beitragvon Colophonius » Montag 1. Februar 2016, 18:36

Hallo,

Ich bin kein Naturwissenschaftler, daher die wirklich ernst gemeinte aber wohl recht naiv klingende Frage: Kann man bei solchen unterschiedlichen Auffassungen zwischen den Wissenschaftlern einfach sagen, dass es umstritten ist und sich dann (argumentativ oder meinetwegen auch nach Bauchgefühl ) für eine der Auffassungen entscheiden oder macht das hier so einen eklatanten Unterschied, dass nur eine Auffassung Richtigkeitsanspruch hat?
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Re: Eine Königinnenkaste bei Diacamma? - Ja und Nein!

Beitragvon LynnLectis » Montag 1. Februar 2016, 19:40

Merkur hat geschrieben:Leider ist es auch in der Wissenschaft oftmals schwierig, eingefahrene, aber längst nicht mehr zweckmäßige Definitionen durch präzisere zu ersetzen. :roll:


Es ist noch nicht lange her, als mir ein Physiker von den heftigen wissenschaftlichen Disputen in seinem Fach erzählte und wie professionell es trotzdem dabei zugehe und das nicht mit einer Meinungsverschiedenheit wie in einen Forum vergleichbar sei, sondern dabei immer der naturwissenschaftliche Diskurs gelte. Du zeigst sehr schön, wie das fachlich untermauert umgesetzt wird. Merkur, danke für Deine immer wieder sehr interessanten fachlichen Beiträge. Ich schätze Deine exakte Arbeitsweise und wie Du Dich immer über das Neueste in Deinem Fachgebiet auf dem Laufenden hältst. :)
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Re: Eine Königinnenkaste bei Diacamma? - Ja und Nein!

Beitragvon Merkur » Montag 1. Februar 2016, 21:06

@Colophonius:
Ich bin kein Naturwissenschaftler, daher die wirklich ernst gemeinte aber wohl recht naiv klingende Frage: Kann man bei solchen unterschiedlichen Auffassungen zwischen den Wissenschaftlern einfach sagen, dass es umstritten ist und sich dann (argumentativ oder meinetwegen auch nach Bauchgefühl ) für eine der Auffassungen entscheiden oder macht das hier so einen eklatanten Unterschied, dass nur eine Auffassung Richtigkeitsanspruch hat?
Die Frage ist alles Andere als naiv! Naiv ist es, sich für eine der alternativen Möglichkeiten zu entscheiden, ohne die Argumente zu kennen. Bösartig wird es, wenn man einem Vertreter der einen oder anderen Auffassung (besser: Deutung, Interpretation) gleich Unwahres unterstellt.

Zur Ehrenrettung des eusozial: Gerade sehe ich einen Kommentar von Phil:
http://eusozial.de/viewtopic.php?f=48&t ... 8c0#p37270
Re: Gemeinsamer Haltungsbericht über Arten der Gattung Diacamma
Beitrag von Phil » Mo 1. Feb 2016, 20:19
Hallo Christian,
wenn Du Dich an Peeters Auffassung orientierst, machst Du sicherlich nichts falsches. Er ist die große Persönlichkeit in der Myrmekologie wenn es um Ponerinen geht. Natürlich wäre auch Buschingers Auffassung korrekt, und in einer wissenschaftlichen Arbeit sollte man stets angeben, an welcher Definition (über Funktion oder Morphologie) man sich hält, sonst kommt es zu (scheinbar) widersprüchlichen Aussagen, und gerade jemand der in dem Thema nicht so belesen ist, ist schnell verwirrt oder macht fehlerhafte Interpretationen.
Ich glaube Du hast ihn aber falsch verstanden - er wollte Dir keinesfalls einen eindeutigen Fehler ankreiden (sein Thread-Titel lautet ja auch "Königinnen bei Diacamma - Ja und Nein") , sondern eben über die grundsätzliche Problematik aufklären. Nirgendswo behauptet er dort, seine Meinung wäre die "einzig wahre".

Dem ist eigentlich nichts hinzu zu fügen, außer dass manche User jenes Forums gelegentlich auf dessen Forenregeln hinzuweisen wären: Abschnitt 2. Respekt, Höflichkeit, Verständnis und gemeinsames Interesse: Keine Beleidigungen, persönliche Anfeindungen, Sticheleien, unsinnige Provokationen.

Wenn man nicht, wie mir fälschlich unterstellt wird, nur die eigene Meinung als einzig richtige darstellen will, bleibt dem Leser (bzw. auf dem Gebiet tätigen und kompetenten Wissenschaftler) keine andere Möglichkeit, als die Argumente beider Seiten gegeneinander abzuwägen: Welche Möglichkeit ist für das Verständnis die bessere? Welche Möglichkeit vermeidet mehr Missverständnisse? – Das kostet einige Lesearbeit, gerade auf einem so grundlegenden und doch so kontrovers diskutierten Gebiet.

Ich muss mich hoffentlich nicht dafür entschuldigen, dass ich die von mir in langen Diskussionen mit meinen Mitarbeitern entwickelte Terminologie vertrete, so wie oben dargestellt. – Die „Gegenseite“ (Herr Peeters und andere) hat das für ihre Sichtweise schließlich auch getan, und ich habe immer auch auf deren Auffassung hingewiesen.

Gerne würde ich den Ameisenhaltern allgemein verbindliche und anerkannte Ansichten präsentieren. Doch gibt es bekanntlich in vielen wiss. Fragen unterschiedliche Auffassungen. Die neue Taxonomie der Myrmicinen von Ward et al. 2014 wird ein weiteres Beispiel, wo es tatsächlich kaum möglich ist, auf „richtig“ oder „falsch“ zu plädieren. Rein aus praktischen Erwägungen und um heillose Verwirrung zu umgehen, halte ich die Beibehaltung von Gattungen wie Myrmoxenus, Chalepoxenus, Anergates oder Teleutomyrmex für besser.
viewtopic.php?f=23&t=588 – Eine Gegendarstellung von einer ganzen Anzahl von Myrmekologen ist im Druck.

PS: Mit keinem Wort wurde bisher darauf eingegangen, dass man die funktionelle Gamergate sehr wohl äußerlich erkennen kann, entgegen der im eusozial vertretenen Meinung. Für die Halter von Diacamma spp. ist dies vielleicht die interessanteste Information, meiner Meinung nach!
MfG,
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Re: Eine Königinnenkaste bei Diacamma? - Ja und Nein!

Beitragvon LynnLectis » Montag 1. Februar 2016, 21:28

Merkur hat geschrieben:Gerne würde ich den Ameisenhaltern allgemein verbindliche und anerkannte Ansichten präsentieren. Doch gibt es bekanntlich in vielen wiss. Fragen unterschiedliche Auffassungen. Die neue Taxonomie der Myrmicinen von Ward et al. 2014 wird ein weiteres Beispiel, wo es tatsächlich kaum möglich ist, auf „richtig“ oder „falsch“ zu plädieren. Rein aus praktischen Erwägungen und um heillose Verwirrung zu umgehen, halte ich die Beibehaltung von Gattungen wie Myrmoxenus, Chalepoxenus, Anergates oder Teleutomyrmex für besser.
viewtopic.php?f=23&t=588 – Eine Gegendarstellung von einer ganzen Anzahl von Myrmekologen ist im Druck.


Ich bin sehr gespannt auf die Gegendarstellung. Ich hoffe, Du informierst uns dann umfassend. :)
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Re: Eine Königinnenkaste bei Diacamma? - Ja und Nein!

Beitragvon Trailandstreet » Montag 1. Februar 2016, 22:36

Ich finde dieses Thema gerade sehr schwierig, da es bei den vielen Ameisenarten ja auch sehr viele Arten der Königinnenkaste oder vielleicht besser der fortpflanzungsfähigen Tiere gibt. Das ist ja nicht mal bei den Ponerinen gleich. So etwas, wie die Gemmae gibt es bei anderen nicht. Myrmecia ist zB wieder anders, geflügelt und auch größer, dann fällt mir gerade besonders dazu Megaponera foetens ein. Eine flügellose Gyne, aber anatomisch wieder deutlich von den Arbeitern abgehoben.
etc etc
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