Ameisenportal.eu - Das Ameisenforum für Ameisenhaltung, Beobachtung und Wissen

Die pontisch-mediterrane "Krummameise" Proceratium melinum wurde in Österreich seit 1970 schon mehrfach gefunden (Niederösterreich, Burgenland, Steiermark), meist waren es einzelne Geschlechtstiere. Ein Nest der Art wurde bisher in Österreich nicht entdeckt. Nun gibt es erstmals einen Fund einer dealaten Gyne aus Kärnten. [Inwieweit sie in Deutschland vorkommt, ist mir unbekannt].
Ein ausgewiesener Käfer-Experte aus unserem Naturwiss. Verein bringt mir immer die Beifänge an Ameisen von diversen Lichtfallen sowie verschiedene Ameisen aus seinem Garten zur Bestimmung. Er hat eine einzelne dealate Gyne in einer "Wasserfalle" gefunden:
Ort: Stadtrand von Villach in Kärnten, 540 m Seehöhe
Datum: 11.11. 2014
Habitat: Einigermaßen naturbelassener Garten, Waldrand in der Nähe.
Handfang aus einem 600 l-Auffangbecken für Regenwasser
Im ersten Moment dachten wir (Sohn u. ich) an eine Hypoponera. Unter dem Bino gab es rasch ein Ergebnis: Proceratium melinum, erstmals im Süden Österreichs, in Kärnten, gefunden.
Die Art wurde aus der Unterfamilie "Ponerinae" ausgeschieden und der Unterfamilie "Proceratiinae" zugewiesen. Die Tierchen haben eine außergewöhnliche Morphologie und eine einzigartige Verhaltensweise: Es soll eine Form des Vampirismus vorliegen, indem die Königin die Larven "anbeißt" und sich von deren Hämolymphe ernährt. Das 2. Gastersegment ist überdimensional ausgebildet u. stark nach vorne gekrümmt, sodass die restlichen Segmente einschl. des Stachels nach vorne gerichtet sind. Diese mächtige Gasterkrümmung soll der Phragmose dienen (z. B. dem Verschluss des Nesteinganges nach außen)(SEIFERT S. 193).
Ich muss mich selbst erst in die Literatur dieser f. mich unbekannten Art einlesen. Als erstes habe ich folgendes Werk ausgewählt:
C. O. Dietrich (2004): Die Krummameise Proceratium melinum (ROGER, 1860), ein unauffälliger und bemerkenswerter Einwanderer in Österreich (Hymenoptera: Formicidae). - Wiss. Mitt. Niederösterr. Landesmuseum, 16: 7-32.

Ich lade dies jetzt hoch, damit mich nicht plötzlich ein log-out überrascht! Bilder kommen gleich!
Noch ein interessantes Detail: Bei den Arbeiterinnen sind die Augen nur winzige Punkte: http://www.biolib.cz/en/image/id132366/

Hallo Boro
Ich gratuliere zur Entdeckung dieser bemerkenswerten Art in Kärnten!
Anbei verlinke ich noch eine interessante Arbeit von Chr. O. Dietrich (Wissenschaftlicher Mittarbeiter des Niederösterreichischen Landesmuseums), auf die ich dank deinem Beitrag gestossen bin:
http://www.landesmuseum.at/pdf_frei_rem ... 7-0032.pdf

Die Vorkommen im Osten Österreichs sprechen für eine Einwanderung der "pontomediterranen" Art (C. O. Dietrich S. 12) aus dem Südosten Europas (Vgl. SEIFERT S. 193), nachdem die Art schon früher in einigen Balkanstaaten nachgewiesen wurde. Dafür sprechen die bis vor kurzem westlichsten Fundorte im Alpenvorland (Umgebung Linz/Oberösterr.) und Graz (Landeshauptst. Steiermark). Hier sind 2 "Stoßrichtungen" zu erkennen, eine nördl. der Alpen und eine südöstl. der Alpen.
Der neue Fund in Kärnten ist aber zoogeografisch von Bedeutung: Er passt schlecht in die "südöstliche" Variante, hier in Villach bietet sich eine ganz andere Einwanderungsroute aus dem Süden (Norditalien) an, nämlich durch das Kanaltal, das nicht weit von Villach beginnt und einen Korridor nach Friaul/Norditalien bildet. Durch diese Pforte sind schon einige südliche Tier- u. Pflanzenarten bis Kärnten vorgedrungen, was am Beispiel des Naturparks Dobratsch/Schütt (Bergsturzgebiet nahe Villach) ersichtlich wird.
L.G.

Ich kann einen weiteren Erstfund v. Proceratium melinum melden und zwar für die Bundeshauptstadt Wien. Der Fund wurde bereits 2013 von Ureaplasma im AF gemeldet. Ich habe die Erlaubnis des Autors, dies hier zu posten und auch 2 Fotos zu zeigen. Noch dazu handelt es sich um den ersten Fund von Arbeiterinnen in Österreich. Bisher wurden nur Geschlechtstiere gefunden.

Gibt's einen Link dazu, dem nähere Fundumstände zu entnehmen wären? - Im zweiten Bild ist ja noch eine Gyne von Ponera sp. zu sehen!

MfG,
Merkur

Hallo Merkur!
Die Meldung erfolgte im AF erstmals 2013 auf dieser Seite: http://www.ameisenforum.de/fotoberichte ... post345126
Auf meine Rückfrage betr. die Ponera cf. coarctata-Gyne in der gemeinsamen Box, habe ich erfahren, dass die beiden Individuen sich nur während des Fotos gemeinsam in einer Box befanden. Ich kenne selbst noch nicht alle Einzelheiten, Ich bleibe aber an der Sache dran, weil mich jedes Detail der Haltung (?) interessiert.
Der Fund wurde damals nicht "weitergemeldet", ich habe inzw. H. C. Wagner als Ass. v. Steiner/Schlick-Steiner verständigt.
L.G.

Vielen Dank für den Link, Boro!
Der Beitrag selbst gibt ja außer den beiden Bildern und der Herkunft "Wien" nichts her.
Sollte man sich merken, wenn man Bilder einstellt: Besser ein paar Informationen dazu packen, sonst wird so ein Beitrag schnell vergessen.

Viele Grüße,
Merkur

Inzwischen weiß ich, dass dem Fund keine besondere Bedeutung zugemessen wurde. Die Arbeiterinnen wurden eine Zeit lang gehalten, sind dann aber verstorben, vermutlich wegen der sehr speziellen Ernährungsbiologie (http://www.hindawi.com/journals/psyche/1957/045849/abs/ , rechts button "Full-text PDF drücken - ich weiß nicht, wie man das sonst verlinkt....) od. womöglich wegen der fehlenden sozialen Gemeinschaft. Die Tierchen wurden aber aufgehoben und ich habe um die Zusendung der Belege ersucht!
L.G. Boro

Inzwischen wurden mir die 2 Arbeiterinnen von ureaplasma freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Sie befinden sich in gutem Zustand. Die Recherchen in der Literatur haben ergeben, dass in Europa bisher nur sehr wenige Arbeiterinnen gefunden wurden (z. B. Griechenland, Brixen Südtirol). Das macht diesen Fund umso bedeutender, ich benötige sie für einen Votrag im hiesigen Naturwissenschaftlichen Verein und eine in Vorbereitung befindliche Publikation.
Wenn der Sohn tolle Fotos gemacht hat, werden sie auch hier gezeigt!
L.G.

Neues Gerät - neue Fotos!
Der Sohn testet derzeit das Canon MP-E 65/2,8 Lupenobjektiv mit bis 1:5 Vergrößerung. Das Optimum ist mit diesem Gerät sicher nicht erreicht, aber ein Anfang mit Freihand u. ohne Bildbearbeitung!
Proceratium melinum hat neben der eigenartigen Gastermorphologie (für mich) noch andere anatomische Auffälligkeiten: Vor allem die Gyne (weniger die Arbeiterinnen) besitzt am caudalen Propodeum 2 etwas auswärts gerichtete Höcker, die den Dornen mancher Gynen der Knotenameisen ähnlich sind; ebenso zeigt sich die "Schuppe" eigentlich als Knoten mit dem ventralen Zahn, der dem Petiolus etlicher Temnothorax spp. ähnlich ist.
Die Arbeiterinnen wurden über ein Jahr trocken gelagert, ich habe daher auf eine Streckung u. eventuelles Aufkleben verzichtet, weil ich das Zerfallen der Belege befürchte - daher nur" eingeschränkte" Sichtweise!

So, nachdem mir ein Spezialist auf diesem Gebiet die Trockenbelege (siehe oben) der Arbeiterinnen präpariert hat und der Sohn Zeit fand sehr gute Fotos zu zaubern, kann ich heute die Arbeiterin v. Proceratium noch einmal vorstellen!

Keine "Eintagsfliege"! Der Entdecker einer Gyne im Vorjahr hat gestern vor 15:00 neuerlich 2 alate Gynen in seinem Auffangbecken für Regenwasser gefunden. Das bedeutet, dass die Art nicht wie bisher vermutet im August/September schwärmt, sondern bereits Ende Juli/Anf. August mit dem Schwärmen beginnt! Heute waren der Sohn und ich in Villach/Kärnten und haben die 2 lebenden Gynen beobachtet und Sohn Roman hat wieder sehr gute Fotos geschossen!
Sehr interessante, schön gefärbte Tiere mit einer höchst eigenartigen Biologie (siehe oben am Anfang!).
Hier 3 neue Bilder zur Ansicht dieser sehr seltenen Art, die bisher nur im Pannonikum, in der Ukraine, am Balkan, in Italien und Österreich-Tschechien vereinzelt gefunden wurde.
L.G.