Artgerechte Haltung. Wie soll das gehen?

Hier können Fragen rund um das Thema Ameisenhaltung gestellt werden.

Artgerechte Haltung. Wie soll das gehen?

Beitragvon hormigas » Montag 4. August 2014, 14:24

Hallo liebe Leute,

Der Brutzyklus bei meiner Formica fusca Kolonie ist nun fast abgeschlossen.
Früher als in den letzten Jahren gibt es einfach nicht mehr all zu viel zu tun.
Anfang des Jahres wurden sie mit einer Heizmatte verhätschelt und Futter (Honig und Insekten) gab es immer im Überfluss.
Der Kolonie geht es gut - aber ich frage mich ob es ihr zu gut geht, und ob meine Haltung noch etwas mit Artgerecht zu tun hat.

Vorgestern sah ich ein Stück Apfel am Boden und eine Kolonie Wegameisen waren dabei diesen zu verwerten.
Auf diese Idee würden meine Ameisen nie kommen!
Warum auch wenn der Honig eine nie versiegende Quelle ist.
Die Brut wird in Rekordtempo großgezogen, unterstützt durch eine Wärmematte.

Ich würde gerne in Zukunft eine Haltung erreichen die sich mehr der Natur annähert.
Eine manchmal längere Brutentwicklung könnte doch auch positive Effekte auf die Robustheit der Ameisen haben?
Wenn die Nahrung zur Mangelware wird, würden doch mehr verschiedene also abwechslungsreichere Kost aufgenommen?
Diese Überlegungen sind rein spekulativ aber eben aus meiner eigenen Erfahrung heraus geschöpft.

Allerdings ist der Grad zwischen Artgerecht und Existenzgefährdend doch sehr gering.

Was sind eure Erfahrungen, oder was könnt ihr zu einer artgerechten Haltung allgemein sagen?
Wann ist es zuviel oder zu wenig der Ameisenliebe?

LG
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hormigas
 

Re: Artgerechte Haltung. Wie soll das gehen?

Beitragvon Merkur » Montag 4. August 2014, 16:47

„Artgerecht“ ist ein arg schwammiger Begriff, den so ziemlich jeder nach eigenem Gusto definiert, je nach Interessenlage. Da können ein paar Quadratzentimeter mehr Platz für eine Legebatterie-Henne schon als „artgerecht(er)“ hoch gelobt werden. :(

Ameisen kann man wohl kaum wirklich artgerecht halten.

Einen wichtigen Punkt sprichst Du allerdings an, nämlich zum jahreszyklischen Klimaverlauf.
Hier habe ich dazu ein paar Zeilen geschrieben: viewtopic.php?f=13&t=77&p=3861#p3861
„Woher „wissen“ die Ameisen, wann im Sommer/Herbstes Zeit ist, die Brutproduktion zu beenden?
Die beste Hypothese ist, dass nach Produktion einer gewissen Brutmenge, Auftauchen von Jungarbeiterinnen (und evtl. Geschlechtstieren), das „Jahressoll“ erfüllt ist. Abhängig vom Temperaturverlauf seit der letzten Winterruhe ist das früher oder später erreicht. Zu frühes Auswintern, permanente Haltung in optimalen Temp.- und Futterbedingungen (ohne die kalten, nahrungsarmen Schlechtwetterperioden im Freiland!) führen dazu, dass das Jahressoll zu früh erfüllt ist. Die Kolonien werden inaktiv und bereiten sich auf den Winter vor, auch wenn es draußen noch Hochsommer ist!“
Bei einigen Leptothorax-Verwandten kann man das nutzen, um drei bis evtl. sogar vier Jahreszyklen in einem natürlichen Jahr ablaufen zu lassen: Es sind (in D heimische!) Arten, bei denen vor allem die Winterruhe sehr stark verkürzt werden kann, auf minimal 4-6 Wochen, und wo die „warme Jahreszeit“ im Klimaschrank ohne Unterbrechungen durch „Schlechtwetterperioden“ recht kurz ausfallen kann. Das geht aber nur mit entsprechenden Klimaschränken.
http://ameisenwiki.de/index.php/Leptothorax_acervorum

Hier hatte ich das sehr ausführlich dargelegt: http://www.ameisenforum.de/technik-bast ... ahren.html
Ob eine solche Haltung „artgerechter“ ist als eine in völlig natürlichem Klimaverlauf (wenngleich eingesperrt, sonst ist es ja keine "Haltung" ;) ), sei dahingestellt. Für meine Forschung wichtig war, dass ich damit Ergebnisse erzielen konnte, die mit den Freilandbefunden größtmögliche Übereinstimmung aufwiesen! Das darf man schon als Indiz für eine "gute" Haltung werten.

Für einheimische Camponotus, Formica, Lasius, Myrmica-Arten kann man in dieser Richtung wahrscheinlich (! Hab's nicht versucht!) schon etwas tun, wenn man die Formikarien bei kaltem Wetter den niedrigeren Temperaturen aussetzt, also Fenster auf, oder (wenn möglich) in eine Garage, einen Schuppen etc. transportiert. Selbstverständlich hilft es auch schon enorm, wenn man die Völker nicht bereits Ende Februar,sondern vielleicht Mitte April auswintert.
MfG,
Merkur
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Re: Artgerechte Haltung. Wie soll das gehen?

Beitragvon Ticc » Montag 4. August 2014, 16:56

Hallo,

ja die artgerechte Haltung.
Ich denke so bald ein Tier in Gefangenschaft lebt, ist eine artgerechte Haltung praktisch nicht zu erreichen.

Ich würde gerne in Zukunft eine Haltung erreichen die sich mehr der Natur annähert.

Da habe ich sehr schlechte Nachrichten für dich.
Genau das Gegenteil wird eintreffen!

Am Anfang ist die Kolonie noch sehr klein, Dinge wie Bepflanzung, Dekoration, Bodenart aus deren original Lebensraum und und und sind am Anfang alles noch machbar.
Aber ab einer gewissen Koloniegröße ist damit aber Schluss!
Dann treten wichtigere Dinge in den Vordergrund, in erster Linie ist es die Handhabbarkeit.

- Bepflanzung nicht mehr möglich, da die Kleinen das ganze Becken als Nest ansehen und anfangen jeden cm³ zu untergraben, ach ja ... deren natürlichen Boden + Feuchtigkeit schließe ich an dieser Stelle auch mal gleich mit aus.
- Dekoration wenig bis keine mehr zum Schluss ... die Tiere produzieren jede menge Abfall der entfernt werden muss, damit sich keine Untermieter einnisten.
Auch die Fütterung würde durch Dekoration erschwert und natürlich verhindert Dekoration die notwendige Überwachung.


Du wirst sehen, je größer deine Kolonie wird, um so weiter wirst du dich von der artgerechten Haltung entfernen.
:(

*Edit* Exoten lasse ich hier außen vor
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Re: Artgerechte Haltung. Wie soll das gehen?

Beitragvon Trailandstreet » Montag 4. August 2014, 20:37

Um den Temperaturverlauf möglichst naturnah zu simulieren, müsste man die Ameisen ja in einem "Raum" halten, der eben die Aussentemperatur hat, aber auch vom Platzbedarf her, kommt man selbst bei einer Lasius niger Kolonie an die Grenzen, wenn man betrachtet, was für eine Fläche sie belaufen.
Die Feuchtigkeit, also Regen, oder auch Nebel, generell die Niederschläge spielen dann auch noch eine Rolle. etc etc

So gesehen würde ich mal sagen, so lange sie zumindest von allem genug haben, kann man zumindest von einer der Art angebrachten Haltung sprechen.

Andererseits sieht man aber auch an den vielen C ligniperdus und herculeanus Haltungsberichten, die von Problemen sprechen, dass es doch nicht so einfach ist.
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Zuletzt geändert von Trailandstreet am Dienstag 5. August 2014, 13:57, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Artgerechte Haltung. Wie soll das gehen?

Beitragvon hormigas » Dienstag 5. August 2014, 13:31

Vielen Dank für eure sehr ausführlichen Antworten!
Dem ist ja eigentlich nichts mehr hinzuzufügen! Trotz allem würde mich es freuen wenn es die eine oder andere Anregung geben sollte.
Sich darüber bewusst sein wie wenig die Haltung mit einer natürlichen Umgebung zu tun hat, ist meiner Meinung nach schon wichtig. Ich dachte nur nicht so weit davon entfernt zu sein ;)
LG
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Re: Artgerechte Haltung. Wie soll das gehen?

Beitragvon Trailandstreet » Dienstag 5. August 2014, 14:12

Was mir noch dazu eingefallen ist, sollte natürlich in dem Fall auch die natürliche Nistmöglichkeit gegeben sein. Ob Erdnest unter Stein oder Wurzel, oder in totem Holz etc. Darüber hinaus sollten sie sich auch in tiefere Schichten zurückziehen können, wenn sie in Winterruhe gehen.

Dann sollte man auch auf eine dem natürlichen Nahrungsangebot entsprechende Ernährung Rücksicht nehmen...
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Re: Artgerechte Haltung. Wie soll das gehen?

Beitragvon hormigas » Dienstag 5. August 2014, 14:24

Ja man müsste Schritt für Schritt vorgehen.
Eine rundum artgerechte Haltung ist ja ohnehin ausgeschlossen.
Für meinen Teil werde ich mir mehr Gedanken zum "Brutzyklus" machen der ja auch eng mit der Nahrung zusammenhängt.
Da stellt sich eben auch die Frage ob eine Heizmatte am Nest nicht auch kontraproduktiv sein kann.

EDIT: Also wenn man eine warme Stelle anbietet, nicht direkt am Nest. Das wäre in der Natur ja auch eher unter einem Stein.
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Re: Artgerechte Haltung. Wie soll das gehen?

Beitragvon Trailandstreet » Dienstag 5. August 2014, 15:05

Was die Erwärmung des Nestes oder der Arena angeht, wäre es vielleicht eine Möglichkeit, ihnen einen "bestrahlten Bereich" anzubieten, den sie bei Bedarf nutzen können. Ich habe schon Formica cunicularia beobachtet, die ihre Puppen nur unter Laub, an der Sonne gelagert haben.
So etwas ließe sich mit einem kleinen Wärme-Spot-Strahler machen. Das ginge auch an einem "Baumstamm-Nest" zB für Camponotus mit einer bestrahlten und einer beschatteten Seite.
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Re: Artgerechte Haltung. Wie soll das gehen?

Beitragvon Benny » Freitag 28. November 2014, 22:28

Hallo
Ich bin eigentlich noch Neuling in der Thematik,
aber artgerecht kann man ein Tier nicht halten.
Schon gar nicht ein "Wildtier". Man sollte ihm
jedoch die nötigste und möglichste beste Pflege
angedeihen lassen. Ohne Experimente.
Gruss Andreas
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Re: Artgerechte Haltung. Wie soll das gehen?

Beitragvon Boro » Samstag 29. November 2014, 09:55

In der Anfrage bzw. Darstellung v. August legt hormigas die Probleme offen und deutet ja selbst gute Verbesserungsvorschläge an. Wie bereits v. kompetenten Leuten beschrieben, kann man eine artgerechte Haltung in Gefangenschaft nicht erreichen. Es geht vielmehr darum, die Haltungsbedingungen so gut wie möglich an natürliche Lebensbedingungen anzupassen. Meistens geht es um das zu regelmäßige und zu reichliche (oft einseitige) Nahrungsangebot und gleichbleibende hohe Temperaturen sowie Probleme mit der Luft- u. Nestfeuchtigkeit.
Gleich zu Beginn: Bei einheimischen Arten würde ich nie eine Heizmatte verwenden. Ich halte derzeit nur Formica gagates und diese haben seit Ende September keine Brut mehr u. befinden sich seit Anfang Okt. im Ruhestadium. Das Terrarium stand am Fensterbrett und wurde tagsüber durch die einfallende Sonne (unter angepasster Abdeckung der Bestrahlung) bis gegen 28/29° erwärmt. Während der Nacht sank die Temp. auf Zimmerniveau od. bei geöffnetem Fenster tiefer. Neben unterschiedlichen frisch-toten Insekten wurden neben Honigwasser auch Ahornsirup oder vollreife Fruchtstücke (f. kurze Zeit - Schimmelgefahr) angeboten.
In der Natur habe ich durch mehrfache Kontrollen festgestellt, dass bei mehreren Serviformica-Arten schon Mitte September keine Puppen mehr vorhanden waren, Anfang Okt. war bei den letzten Nestern Schluss mit der Brut.
L.G.
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Re: Artgerechte Haltung. Wie soll das gehen?

Beitragvon Reber » Samstag 29. November 2014, 11:57

Ich verweise an dieser Stelle ergänzend noch auf die Themen "kleine Experimente" und den "Experimentierkoffer". Denn es gibt schon einige Experimente, die man in der Haltung durchführen kann, ohne den Tieren zu schaden. Auch wenn Benny solche vermutlich gar nicht gemeint hat ;)
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„Doch vor allen Dingen:
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möge dir gelingen.“
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