Interessante Verhaltentsweisen von C. ligniperdus

Hier können allgemeine Fragen zum Thema Ameisen, sowie zu europäischen Ameisenarten gestellt werden.

Interessante Verhaltentsweisen von C. ligniperdus

Beitragvon Bob » Dienstag 7. April 2015, 15:52

Hallo Ameisenportal,

wie einige von Euch schon in meinem kleinen Video gesehen haben, gebe ich meiner Kolonie ab und an etwas Wärme durch eine Lampe (12-18 Uhr). Zu Beginn haben sie dann immer ihre Puppen herausgebracht und sie unter dem erhitzten Stein gelagert. Mittlerweile bringen sie ihre gesamte Brut heraus, es bleiben nur die Königin und eine Arbeiterin im Nest zurück. Erst erwärmen sich ein paar Damen für 1 bis 2 Stunden und hiernach folgt die große Migration.
Jetzt weiß ich auch, was "aggressive" Ameisen in den Artbeschreibungen bedeuted. Bevor die Brut herausgebracht wird, schwärmen (Nicht der Flug!) die Ameisen um den Stein und untersuchen alle Ecken in extrem hohem Tempo. Hermuliegende Futtereste werden umgehend attackiert und man kann die Ameisen "klopfen" hören. Als Bodengrund habe ich ein Blatt Papier, das fungiert hervorragend als Resonanzkörper. Ich denke dieses Verhalten dient der Absicherung des Platzes für die Brut.
30 Minuten später bringen sie die Brut heraus und werden wieder ruhiger. Es gibt nur ab und an nochmal Kontrollgänge um den Stein.
In der Zeit scheint die Gyne im Nest sehr nervös zu sein. Sobald ich die Abdeckung hebe, beginnt sie sich aufgeregt zu bewegen. Ich lasse sie dann schnell in wieder in Frieden. (Wenn alle Arbeiterinnen und die Brut daheim sind, ist sie viel entspannter.)
Nachdem ich die Lampe abends ausschalte, verharren die Ameisen noch eine Stunde. Später schwärmen sie wieder aus und bringen die Brut zurück. Es wird noch bis Mitternacht fouragiert und schließlich kehrt Ruhe ein ins Formicarium.

Leider herrscht heute totale Uneinigkeit unter den Damen. Seit 2 Stunden bringt eine Arbeiterin die Puppen wieder stetig zurück in das Nest. Die Anderen holen diese dann sofort wieder heraus. Es geht hin und her. Wie kann sie nur so beharrlich gegen den Konsens der Kolonie arbeiten? Kann dieser ständige Transport dem Nachwuchs schaden? So langsam mache ich mir Sorgen. Gestern abend gab es auch schon eine, die die Puppen wieder zum Stein zurück gebracht hat, das legte sich dann aber nach einer halben Stunde. Vielleicht sollte ich die Unruhestifterin erstmal aus dem Becken nehmen, was meint Ihr?

beste Grüße

Bob

PS: Da liest man immer wieder, dass gerade einheimische Camponotus eher träge und langweilig wären, aber was mir die 11 Ameisen in den letzten Wochen schon an Unterhaltung verschafft haben, hätte ich mir nie zu träumen gewagt. Kennt Ihr noch interessante Eigenheiten der Ameisen, auf die ich mich in Zukunft freuen kann? Bis jetzt haben sie von mir noch keine Baumaterialien bekommen, da ich sie bis zu einer gewissen Volksstärke eher steril halten will, aber ich kann mir vorstellen, dass da auch noch bemerkenstwerte Dinge passieren werden.
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Bob
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Re: Interessante Verhaltentsweisen von C. ligniperdus

Beitragvon Bob » Dienstag 7. April 2015, 16:08

Nachtrag: Die abtrünnige Arbeiterin hat just ihr gegenläufiges Verhalten eingestellt. Jetzt wird entspannt.
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Re: Interessante Verhaltentsweisen von C. ligniperdus

Beitragvon Reber » Dienstag 7. April 2015, 17:06

Ja, es sind interessante Ameisen. Ich selber habe ihnen bisher keine Heizung angeboten, weil verhindern will, dass sie ihr "Geschäft" schon im Sommer einstellen. Die ersten puppen gibt es bei mir erst seit wenigen Tagen (Bild). Nach deinem Bericht werde ich ihnen in den Sommermonaten wohl doch einige Stunden Heizung gönnen. In der Natur lagern sie ihre Puppen übrigens gerne direkt unter z.T. loser Rinde. Sie sind dann natürlich entsprechend aggressiv gegen echte und vermeintliche Fressfeinde. Das unentschlossene Verhalten kann daher kommen, dass die Ameisen zwischen "Sicherheit" und Wärme schwanken. Meisten setzen sich ja solch "umstrittenen" Entscheide erst nach einer Weile durch. Auch wenn z.B. ein neues Nest gewählt wird, sieht man immer wieder Ameisen mit Brut in verschieden Richtungen laufen, bis sich eine Variante durchsetzt.

Was mir noch aufgefallen ist: Camponotus ligniperdus stellen immer "Wachposten" beim Nesteingang und an den Kammerneingängen mit Brut und Königin auf.

Was mich etwas stört: Sie lassen den Abfall lieber in einer abgelegenen Kammer vertrocknen, als ihn heraus zu bringen.
C. ligniperdus mit frischen Puppen.JPG
C. ligniperdus.JPG
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Re: Interessante Verhaltentsweisen von C. ligniperdus

Beitragvon Trailandstreet » Dienstag 7. April 2015, 18:21

Dieses Verhalten, Puppen möglichst warm zu lagern, kommt bei vielen Arten vor. Ich hab schon Formica gesehen, die sie unter trockenem Laub und Lasius niger, die sogar über zwei ca 15cm starke Stämme ihr Nest hoch gebaut hatten, nur um die Brut unter der bereits abgelösten Rinde des oberen zu deponieren.
Da sind wir mal gespannt, was deine noch alles machen werden.
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Re: Interessante Verhaltentsweisen von C. ligniperdus

Beitragvon Bob » Dienstag 7. April 2015, 22:02

Vielen Dank für eure Antworten!

Gleich vorweg: Mir ist es, nach vielen Fehlversuchen, gelungen das Angriffsverhalten und das Klopfen in die Kamera zu kriegen. Bei hoher Lautstärke könnt ihr es in dem Video sogar hören!



@Reber
Stimmt, die Sache mit dem Nestumzug ist auch ein schönes Beispiel für die gegenteiligen Ansichten der Arbeiterinnen. Naja, ich hoffe die Puppen werden dadurch nicht beschädigt.
Du schriebst, die ersten Larven hätten sich erst vor wenigen Tagen verpuppt, dabei ist die eine in deinen Bildern schon bräunlich gefärbt. Meine ersten Puppen sind schon über einen Monat alt und fangen jetzt erst an sich zu färben. Das ist schon eine verdammt lange Entwicklungszeit. Deswegen gebe ich ihnen, wenn ich zu hause bin, eine kleine Dosis Wärme. Ohne Lampe habe ich 19°C im Becken, mit Lampe um die 22°C, am Stein sind es bestimmt weitaus mehr. Wenn es hier wärmer wird werde ich die Lampe auch nicht mehr benutzen.
Da meine Kolonie schon Mitte Februar aus der WR ging, nehme ich auch stark an, dass sie im Hochsommer ihr Brutgeschäft beenden :( Trotzdem kann das eine überaus erfolgreiche Saison für mich werden. In den meisten HBs haben die Camponotus ligniperdus am Ende des 2ten Jahres um die 20-30 Arbeiterinnen. Mittlerweile habe ich 17 Puppen (eine Media :D ) 2 Larven und 20+ Eier. Wenn von den jetzigen 10 Arbeiterinnen keine stirbt, können die 50 sogar dieses Jahr noch geknackt werden. Mal schauen was die Zukunft bringt, bei der Art kann übermorgen die Gyne auch auf einmal tot im Nest liegen...
Zum Thema Futtereste: nur eine Kammer-> Müll bleibt draußen ;)

Schönen Abend Euch noch!
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Re: Interessante Verhaltentsweisen von C. ligniperdus

Beitragvon Boro » Mittwoch 8. April 2015, 07:38

Das Trommeln mit der Gaster od. den Mandibeln auf einer meist harten Unterlage ist eine Form der Kommunikation. Ich vermute, dass es vor allem der Warnung bzw. Alarmierung dient. Die Oberfläche eines (trockenen) Holzstammes dient als guter Resonanzkörper. Dieses "Trommeln" ist bei C. ligniperdus u. C. herculeanus nachgewiesen. Ob es bei der dritten, großen und volksstarken C. vagus ebenfalls vorkommt, kann ich derzeit nur vermuten. Letztere habe ich ja unzählige Male in der Natur beobachtet u. kann nur berichten, dass diese Art auf Erschütterungen d. Bodens (etwa bei Annäherung d. Menschen) sofort reagiert. Möglicherweise nimmt diese Art auch den Geruch des sich annähernden Menschen wahr: Trotz vorsichtigster Annäherung erfolgte wiederholt der Angriff ausschwärmender Majoren stets bei einer Nestdistanz von etwa 1 m. Dieses Nest war allerdings riesig und beherbergte sicher viele tausend Individuen.
Alle Camponotus-Arten sind hochinteressant!
L.G.
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Re: Interessante Verhaltentsweisen von C. ligniperdus

Beitragvon Merkur » Mittwoch 8. April 2015, 08:52

Informationen zur Klopfkommunikation bei Camponotus:

(1.) http://ameisenwiki.de/index.php/Kommuni ... Camponotus >> http://link.springer.com/article/10.1007%2FBF00455963 (1972) (Engl. und deutsche Zusammenfassung)

(2.) http://www.uni-graz.at/anton.stabenthei ... tracts.pdf >>Seite 73:
Soziale Insekten IUSSI-Tagung Graz 1997
Der modulatorische Effekt der Klopfkommunikation bei Camponotus ligniperdus
The modulatory effect of drumming in Camponotus ligniperdus
ULRICH RAUB LS für Verhaltensphysiologie und Soziobiologie, Biozentrum Am
Hubland, D-97074 Würzburg, uraub@biozentrum.uni-wuerzburg.de

Wenn Arbeiterinnen der Roßameisenart Camponotus ligniperdus durch
Gefahrensignale erregt werden, produzieren sie ein Vibrationssignal. Dabei wird
abwechselnd mit den Mandibeln und dem Gaster auf die dünnen Wände des
Holznestes geschlagen. Die häufigste Reaktion einer aktiven Arbeiterin auf ein
solches Signal ist ein mehrere Sekunden dauerndes Stillstehen (Freezing). In
Laborexperimenten wurde die Bedeutung dieser Freezing-Reaktion untersucht:
Es zeigte sich, daß Arbeiterinnen, die in Reaktion auf ein künstliches
Klopfsignal stillstehen, signifikant heftiger auf einem Luftstoß reagieren als
ohne ein vorangegangenes Klopfsignal. Bei stärkeren Reizen (Luftstoß mit 5%-
CO2) konnte dieser modulatorische Effekt des Klopfens nicht beobachtet
werden.
Die Hypothese wird formuliert, daß innerhalb des Nestes mit vielen
separaten Kammern die Ausbreitung eines über die Luft verbreiteten Signals
erschwert ist. Dieser Nachteil könnte durch ein sich schnell ausbreitendes
Klopfsignals, das die Empfindlichkeit für anschließend auftretende Signale
verringert, ausgeglichen werden.
Die Reaktion auf ein Klopfsignal wird u.a. auch moduliert von der
Kastenzugehörigkeit der getesteten Ameise. Innendiensttiere reagieren mit
einem höheren Prozentsatz auf ein Klopfsignal als Außendiensttiere. Die
mittlere Reaktionsdauer der beiden Gruppen unterscheidet sich jedoch nicht.
Diese differentielle Reaktivität wird z.T. durch chemische Signale (Kolonieduft)
vermittelt. Werden Außendiensttiere in einer Arena getestet, die mehrere
Wochen in einer Kolonie gelagert wurde, so erhöht sich der Anteil der auf ein
Klopfsignal reagierenden Tiere signifikant.
Das Klopfverhalten erscheint somit als ein Kommunikationssystem, das
sehr gut an die charakteristischen Eigenschaften des Holznestes von
Camponotus ligniperdus angepasst ist.


MfG,
Merkur
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