Die Ameisenkolonie als stigmergisches System

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Die Ameisenkolonie als stigmergisches System

Beitragvon Merkur » Samstag 23. Januar 2016, 17:08

Zu diesem Beitrag wurde ich durch einen Literatur-Hinweis im eusozial angeregt: http://eusozial.de/viewtopic.php?f=28&t ... 130#p37064

Es geht um Selbstorganisation beim Nestbau von Ameisen (Lasius niger)
Originaltext: http://www.sciencedaily.com/releases/20 ... 184948.htm
Zitiert wird die wiss. Originalarbeit:
Anaïs Khuong, Jacques Gautrais, Andrea Perna, Chaker Sbaï, Maud Combe, Pascale Kuntz, Christian Jost & Guy Theraulaz. Stigmergic construction and topochemical information shape ant nest architecture. PNAS, 18 January 2016 DOI: 10.1073/pnas.1509829113

Im Titel steht der Begriff “Stigmergic“. Ich bin dem Wort Stigmergie lange nicht mehr begegnet, obwohl das Prinzip bereits 1959 durch den berühmten französischen Zoologen Pierre-Paul Grassé eingeführt wurde. Er beschrieb damit die Organisation des Nestbaus bei Termiten, die ja ohne „Plan“ und ohne „Bauleitung“ höchst komplizierte Nestanlagen errichten. Das Prinzip scheint einfach zu sein: Baue dort weiter, wo vor Dir eine andere Termite einen Krümel eingefügt hat (z. B. auf dem frischen Rand einer Mauer ein Erdklümpchen mittels Kot befestigt). In der o. g. Arbeit hat man nun gefunden, dass ein Pheromon bei den Ameisen die „Baustellen“ besonders markiert.

https://de.wikipedia.org/wiki/Stigmergie
Stigmergie ist ein Konzept zur Beschreibung einer besonderen Form der Koordination von Kommunikation in einem dezentral organisierten System, das eine große Anzahl von Individuen umfasst. Dabei kommunizieren die Individuen des Systems nicht unmittelbar, sondern nur indirekt miteinander, indem sie ihre lokale Umgebung modifizieren. Das gemeinsam Erstellte wird gleichsam zum Auslöser (vergl. Emergenz) von Anschlussaktivitäten und zur allgemeinen Anleitung dafür, wie mit dessen Erstellung fortzufahren ist....
Der Begriff stammt von den griechischen Wörtern Stigma (στιγμα) für Markierung und Ergon (εργον) für Arbeit ab....
Stigmergie wurde zuerst in der Natur beobachtet. Beispielsweise kommunizieren Ameisen bei der Futtersuche indirekt miteinander, indem sie entlang ihrer Straßen Pheromone hinterlassen: Eine Ameisen-Kolonie ist somit ein stigmergisches System. – Usw….

Als Ameisenhalter macht man sich die Stigmergie übrigens zunutze, wenn man in einer Antfarm oben in die Füllung (Boden, Gel) ein Loch vorbohrt, an dem die eingesetzten Ameisen weiter graben!
Nebenbei: Das funktioniert am besten mit Ernteameisen aus trockenen Gebieten, wo es für die Tiere lebensnotwendig ist, möglichst rasch möglichst tiefe Nester anzulegen. Wenn so wie bei den amerikanischen Uncle Miltons Antfarmen nur Arbeiterinnen ohne Brut und ohne Königin eingesetzt werden, gibt es für die Arbeiterinnen nur den einen Reiz, etwas zu tun: Da graben, wo andere schon angefangen haben! :roll:

Die Anlage von Abfallecken und Gemeinschaftsklos in Formikarien kann als weiteres Beispiel für stigmergisch koordinierte Tätigkeiten dienen.

Auch als Mensch ist man nicht erhaben über die Mechanismen der Stigmergie: Wikipedia selbst bemerkt: „Ein gutes Beispiel hierfür ist die Wiki-Technologie. Der Inhalt eines Wikis ist mit einem Termitenhügel vergleichbar: Ein Individuum hinterlässt den Keim zu einer Idee (zum Beispiel den Beginn eines Artikels in Wikipedia), der wiederum andere Benutzer anzieht.“ (Bitte keine Parallele zur Bautechnik der Termiten ziehen! :D )

In anderen Bereichen führt die Stigmergie zu weniger erwünschten Erfolgen: Wo am Waldrand oder auf dem Autobahnparkplatz jemand illegal seinen Abfall entsorgt, gibt es rasch Nachahmer, so dass eine „Wilde Mülldeponie“ entsteht.
Und auch bei immateriellen „Produkten“ schimmert das Prinzip der Selbstorganisation durch, etwa bei der Entwicklung eines Mobs in „sozialen“ Medien: Wo einer seinen mentalen Müll auskippt, sind oft die Nachahmer nicht weit. ;)
Wir haben mit Tieren wohl doch ziemlich viele Gemeinsamkeiten. :roll:

MfG,
Merkur
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