Die Hippies der Waldameise Formica lugubris

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Die Hippies der Waldameise Formica lugubris

Beitragvon Merkur » Dienstag 3. Mai 2016, 16:12

Was tun, wenn in Nestern einer Ameisenart z. B. Arbeiterinnen gefunden werden, die deutlich zwei Gruppen unterschiedlich aussehender Individuen angehören?
Es könnte sich um eine Mischung zweier Arten handeln, oder um einen intraspezifischen Dimorphismus. Um eine Entscheidung treffen zu können, hat B. Seifert ein Testverfahren entwickelt, genannt „DIMORPH“, das sich vor allem auf die Häufigkeitsverteilung von Nestpopulationen mit nur dem einen, nur dem anderen, oder einer Mischung der beiden Formen stützt.

Eine derartige Situation kann fünf biologische Ursachen haben:
1) Die zwei Morphen repräsentieren einen genetisch bedingten intraspezifischen Dimorphismus.
2) Es sind intraspezifische Formen, die durch Umweltbedingungen hervorgerufen werden.
3) Es handelt sich um die Vergesellschaftung eines temporären Sozialparasiten mit seiner Wirtsart.
4) Oder um eine permanent parasitische Vergesellschaftung von zwei Arten.
5) Oder um eine parabiotische Mischung von zwei prinzipiell selbständigen Arten.

Hippies-F.--lugubris.jpg
Die zwei Morphen von F. lugubris (aus der hier referierten Arbeit von B. Seifert)
Als Beispiele für intraspezifischen Dimorphismus wurden Camponotus lateralis, Lasius umbratus, Formica lugubris (Bild!) und Cardiocondyla elegans untersucht. In drei der vier Fälle hatte man zuvor die intraspezifischen Morphen für separate Arten gehalten.

Artverschiedenheit (Heterospezifität) wurde für vier Paare kryptischer Arten und ein Paar sehr nahe verwandter Arten bestätigt: Formica pressilabris vs. F. foreli, Temnothorax crassispinus vs. T. crasecundus, Temnothorax luteus vs. T. racovitzai, zwei kryptische Arten aus dem Pheidole pallidula-Komplex, und Myrmica vandeli vs. M. scabrinodis.

Als Vorteile der Methode wird angeführt, dass sie für Museums- und Sammlungsexemplare verwendbar ist, unabhängig von deren Alter und dem evtl. Abbau ihrer DNS. „DIMORPH“ kann daher genutzt werden, wo genetische Untersuchungen auf Schwierigkeiten stoßen und wo Experimente unter kontrollierten Haltungsbedingungen nicht möglich sind.

Für den normalen Ameisenhalter hat diese Arbeit wohl kaum Bedeutung; es sind Probleme, mit denen sich die Taxonomen herumschlagen müssen. Doch kann man daraus lernen, wie schwierig es sein kann, ein Ameisenvolk beliebiger Herkunft wirklich sicher einer Art zuzuordnen. – Mangels geeigneter Optik mit Messeinrichtungen kann ich selbst nicht alle Arten zweifelsfrei sicher bestimmen. Im Falle einiger Sozialparasiten konnte ich durch Aufzucht- und Kreuzungsversuche Klarheit schaffen, sowie durch Untersuchungen innerer Organe und der Karyotypen. Das allerdings geht nicht mit getrockneten oder konservierten Sammlungsexemplaren.

Seifert, B. (2016): Analyzing large-scale and intranidal phenotype distributions in eusocial Hymenoptera – a taxonomic tool to distinguish intraspecific dimorphism from heterospecificity. - Myrmecol. News 23: 41-59; Online Earlier 21 April 2016.https://myrmecologicalnews.org/cms/inde ... Itemid=367

Für weitere Einzelheiten muss man die umfangreiche Arbeit lesen. Nur so viel noch, wegen des Titels: Seifert selbst hat in einer Arbeit von 2003 die ungewöhnlich stark beborsteten Individuen aus Schweden und Finnland als deren „Hippie“ morph bezeichnet. Zuvor hatte man noch vermutet, dass es sich dabei um eine unbeschriebene Art handle. Doch die untersuchten Populationen enthalten zum Teil Mischungen von normalen F. lugubris und „Hippies“. Auch die Hippies gehören also der Art F. lugubris an. ;)

MfG,
Merkur
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