Terminologie: Polymorphismus oder Polyphänismus?

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Terminologie: Polymorphismus oder Polyphänismus?

Beitragvon Merkur » Sonntag 15. Mai 2016, 10:39

Über Terminologie, die „richtigen“ Fachbegriffe, wird auch in den Ameisenforen viel und herzhaft gestritten. Ein Beispiel ist die Frage, wie man die Vielgestaltigkeit der Individuen innerhalb einer Ameisenart korrekt einordnet.
Dazu wurde kürzlich im Ameisencafé ein Thread eröffnet: https://ameisencafe.de/cafe/index.php/T ... %A4nismus/
Der Threadersteller weist auf eine entsprechende Diskussion im Ameisenforum von 2011 hin, die ich für lesenswert halte und auf die ich daher besonders hinweisen möchte: https://www.ameisenforum.de/polymorphis ... 42227.html
(Im Laufe der Diskussion wird auch auf eine Arbeit aus 2008 zu möglichen genetischen Ursachen für Polymorphismen verwiesen, siehe unten!*)

Prinzipiell gibt es keine bindende Verpflichtung, den einen oder anderen Begriff zu verwenden. Ob (in einem deutschen Text) Arbeiter, Arbeiterin, Ergate, Ergatomorphe, worker oder gar (schlimm!) „workerin“: Es kann jeder so halten, wie es seinem Verständnis nach "richtig“ ist. Kurioses kommt vor, wie das im AF-Thread genannte Beispiel, in dem die Begriffe „Sklavenhaltung“ = „Dulosis“ durch „piracy“ (Piraterie) und „Sklavenhalter“ durch „pirate ants“ ersetzt werden sollten. :roll:

Am besten ist es, möglichst viele bzw. alle Synonyme für ein- und dasselbe Phänomen zu kennen, wenn man Andere verstehen und kompetent mitreden möchte. Das ist lästig und bedauerlich, aber leider unvermeidlich. Änderungsvorschläge fügen der Liste der Synonyme in der Regel nur weitere gleichrangige Begriffe zu (eindrucksvolle Beispiele finden sich ja auch unter den Trivialnamen für Tiere und Pflanzen).
Am einfachsten ist es noch, sich an die jeweils „gebräuchlichsten“ Begriffe zu halten (wozu allerdings ein gewisser Überblick über die Fachliteratur erforderlich ist).
(Siehe auch Beiträge im AP, die unter „Terminologie“ in der Suchfunktion angezeigt werden!)

Hier* noch die oben erwähnte Veröffentlichung zu den genetischen Grundlagen für die verschiedenen „Kasten“ bei Ameisen (wobei auch der Begriff „Kaste“ in der Fachliteratur nicht einheitlich gebraucht wird, ja nicht einmal Einigkeit über die Definition von "Königin" bzw. "queen" besteht!):
Anderson, K.E., Linksvayer, T.A. & Smith, C.R. (2008): The causes and consequences of genetic caste determination in ants (Hymenoptera: Formicidae). Myrmecological News 11: 119-132. Review Article
https://myrmecologicalnews.org/cms/inde ... Itemid=355
Die deutsche Zusammenfassung:
In jüngster Zeit nahm die Erforschung der Genetik von Kastendetermination drastisch zu, insbesondere nach der Entdeckung von Systemen mit starkem genetischem Einfluss auf die Königinnen-Arbeiterinnen-Determination. In diesem Übersichtsartikel stellen wir Forschungsergebnisse zur genetischen Kastendetermination bei Ameisen zusammen und interpretieren sie, auch im Zusammenhang mit der historischen Entwicklung dieser Forschungsrichtung
bei sozialen Insekten.
Frühe Wissenschafter waren sich darin uneinig, wie die relative Bedeutung der Umwelt während der Aufzucht auf der einen und der Gene auf der
anderen Seite für die Kastendetermination sei. In Folge und bis vor kurzem hatte sich aber eine breite Unterstützung für die Auffassung gefunden, dass die Umwelt ausschlaggebend sei, basierend auf theoretischen Überlegungen und empirischen Ergebnissen.
Die zunehmende Verfügbarkeit von molekularen Markern, zusammen mit Zuchtergebnissen und anderen, quantitativ-genetischen Hinweisen, hat
jetzt ermöglicht, eine genetische Komponente in der Kastendetermination bei zahlreichen Taxa sozialer Insekten nachzuweisen. Die Stärke der genetischen Komponente variiert und ist offensichtlich häufig stark von der Umwelt abhängig. In extremen Fällen wird die Kaste fast ausschließlich vom Genotyp bestimmt.
Wir fassen Umwelt- und genetische Einflüsse auf die Kastendetermination zusammen, einschließlich jüngster Nachweise von schwacher und starker
genetischer Kastendetermination und diskutieren die Evolution dieser Systeme. Genotypen, die königinnenlastige zahlenmäßige Verhältnisse der Kasten zueinander bedingen, werden häufig als Schwindler bezeichnet. Wir betonen hier, dass die evolutive Dynamik von genetischer Kastendetermination die Koevolution (oft als Antagonismus) von Genen, die Königinnenlastigkeit bedingen, und solchen, die die Zahlenverhältnisse wieder ausgleichen, in miteinander interagierenden Nestgenossen involviert.
Die evolutive Bedeutung solcher Konflikte das Schicksal von Kasten betreffend, bleibt ungeklärt, aber es könnte zu weit verbreiteten Systemen untereinander abhängiger Linien, zu Spermienparasitismus und zu arbeiterinnenlosen Sozialparasiten führen.

MfG,
Merkur

Schmunzelndes edit zu Maddios "Bewertung": Die Ameise mit "Augenbinde" gibt es tatsächlich: viewtopic.php?f=23&t=1293 :D
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