Ameisen bestäuben Orchideen in den Alpen

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Ameisen bestäuben Orchideen in den Alpen

Beitragvon Merkur » Dienstag 5. September 2017, 09:27

Formica lemani und F. exsecta als Bestäuber von zwei Orchideen-Arten in den Alpen

Tuexenia 37: 363–374. Göttingen 2017. doi: 10.14471/2017.37.005, available online at http://www.tuexenia.de
SHORT COMMUNICATION
Significant ant pollination in two orchid species in the Alps as adaptation to the climate of the alpine zone?
Signifikante Bestäubung zweier Orchideenarten in den Alpen als Anpassung an das Klima der alpinen Zone?
Jean Claessens & Bernhard Seifert

(In der Arbeit sind hübsche Bilder von Bestäubern der Orchideen mit Pollinarien auf der Stirn enthalten)

Erweiterte Deutsche Zusammenfassung
Aus der Sicht der Pflanzen sind Ameisen unerwünschte Nektardiebe, die zudem als räuberische Insekten durch ihre Anwesenheit in Blüten eine Gefahr für andere Bestäuber darstellen. Der Wert der Ameisen selbst als Bestäuber von Gefäßpflanzen ist zudem nahe Null, was unter anderem dadurch begründet wird, dass das auf der ganzen Körperoberfläche verteilte Sekret der Metapleuraldrüse antibiotisch wirkt und die Befruchtungsfähigkeit von Pollen stark einschränkt (BEATTIE et al. 1984, DUTTON & FREDERICKSON 2012, SANDERSON & WRIGHT 1989). Bestäubung von Orchideen durch Ameisen ist extrem selten: bei nur zwei tropischen Orchideenarten sind Ameisen exklusive Bestäuber (JONES 1975, PEAKALL & BEATTIE 1989, PEAKALL et al. 1987, PEAKALL et al. 1990, PEAKALL & BEATTIE 1991, SIEGEL 2014) und aus der Holarktis war Ameisenbestäubung bisher nur von der alpinen Orchidee Chamorchis alpina bekannt (BAUMANN & BAUMANN 2010, CLAESSENS & KLEYNEN 2011, 2016, SCHIESTL & GLASER 2012).

Wir zeigen und diskutieren hier, dass Ameisen reguläre und signifikante Bestäuber von zwei in der alpinen Zone der Alpen lebenden Orchideenarten sind. Wiederholte Beobachtungen an verschiedenen Orten der Alpen belegen, dass die Ameise Formica lemani einer der Hauptbestäuber von Chamorchis alpina ist. Zudem wird die Ameise Formica exsecta in dieser Arbeit zum ersten Mal als signifikanter Bestäuber von Dactylorhiza viridis beschrieben. Bei beiden Orchideenarten haben die Pollinarien einen kurzen Stiel, der sich mittels eines Klebscheibchens mit einem Ende fest an den Vorderkopf der Ameise anhaftet, wodurch der am distalen Ende befindliche Pollen keinen direkten Kontakt mit dem Metapleuraldrüsensekret bekommt. Diese Befunde sind sehr bemerkenswert, da Ameisen aus keiner anderen Region und keinem anderen Lebensraum der Holarktis als reguläre Bestäuber von Orchideen bekannt sind. Dies erzeugt die Frage, ob Ameisen und Orchideen lebensraumspezifische Adaptionen entwickelt haben. Das Vorliegen von Koadaptionen, als potentieller Höhepunkt der Evolution, kann eindeutig verneint werden. Die Beobachtungen zeigen nämlich, dass die Formica-Ameisen keine spezifischen ethologischen oder morphologischen Anpassungen für das Bestäuben von Orchideen entwickelt haben – sie zeigten das normale flexible Fouragierverhalten, dem sie in jedem Habitattyp folgen, um ihrer vielfältigen Ernährung gerecht zu werden. Zum anderen macht es für die Ameisen keinen Sinn, sich spezifisch auf eine Nahrungsquelle anzupassen, die nur temporär auftritt und in der metabolischen Gesamtbilanz nebensächlich ist.

Auf der anderen Seite sind bei den Orchideen sehr wohl spezifische Anpassungen an den alpinen Lebensraum sichtbar. Sie entwickelten Bestäubungsmechanismen, die in stärkerem Maße auf Insekten zugeschnitten sind, die flugunfähig sind bzw. nur selten fliegen und in ihrer Laufaktivität nur wenig durch die erhöhten Windgeschwindigkeiten oder niedrigen Temperaturen eingeschränkt werden. Das sind in den Alpen hauptsächlich Käfer und Ameisen. Die Bestäubungsmechanismen und Interaktionen beider Orchideenarten mit den Ameisen werden beschrieben. Dabei zeigt D. viridis eine für Orchideen sehr ungewöhnliche Eigenschaft: nach Anhaftung an den Vorderkopf eines Insektes benötigt das Pollenstielchen 20 bis 30 Minuten, um eine Vorwärtsbiegung des Stieles um 90° auszuführen – dieser Vorgang dauert bei anderen Orchideen nur zwischen 15 Sekunden und 3 bis 5 Minuten. Diese Vorwärtsbiegung ist nötig, um den Pollen präzise auf die Narbe zu applizieren. Die sehr lange Krümmungszeit bei D. viridis könnte eine Anpassung an die längere Präsenz nicht fliegender Insekten auf der gleichen Pflanze sein und soll die Häufigkeit der Selbstbefruchtung minimieren. Die große Häufigkeit von Ameisenbestäubung ist eine Folge der hohen Aktivitätsdichte der aggressiven, räuberischen Formica-Arten, die zu einer weitgehenden Verdrängung und teilweise auch Erbeutung anderer Bestäuber führen kann. Formica lemani hat in Offenlebensräumen der alpinen Zone der Alpen eine mittlere Nestdichte von 19 Nestern / 100 m² (SEIFERT 2017). Das bedeutet bei einem mittleren Nestabstand von 2,3 Metern, dass jede Orchidee innerhalb der Reichweite der Arbeiterinnen mehrerer Ameisennester ist. Bemühungen der Ameisen, frisch angeheftete Pollinarien von ihrem Kopf abzustreifen, scheiterten. Einzelne Ameisen trugen gleichzeitig bis zu 8 Pollinarien auf ihrer Stirn.

MfG,
Merkur
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Re: Ameisen bestäuben Orchideen in den Alpen

Beitragvon Boro » Dienstag 5. September 2017, 15:47

Danke für den sehr interessanten Beitrag. Beide Ameisenarten habe ich schon öfter gesehen und auch zuletzt hier genannt: viewtopic.php?f=46&t=1653, Coptoformica kommt hier vor: viewtopic.php?f=48&t=448&p=2736&hilit=Coptoformica#p2736
Links zu den beiden Orchideen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Zwergstendel
https://de.wikipedia.org/wiki/Gr%C3%BCne_Hohlzunge
L.G.
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Boro
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