Invasiveness is linked to greater commercial success (...)

Interessante und neue Themen aus "Wissenschaft und Medien"

Invasiveness is linked to greater commercial success (...)

Beitragvon NIPIAN » Dienstag 23. März 2021, 13:45

Hoi,

etwas, was ich bereits in meinen Zeiten als Moderator im Ameisenforum vor dem Verkauf an Sebesta vermutet und auch ausgeschrieben habe - entsprechende Apelle an offizielle Verkäufer etc.; einige werden sich unter Umständen erinnern:

https://www.pnas.org/content/118/14/e2016337118
Invasiveness is linked to greater commercial success in the global pet trade
Jérôme M. W. Gippet and Cleo Bertelsmeier
PNAS April 6, 2021 118 (14) e2016337118

Und dabei sind nicht die Facebookgruppen inkludiert, die an entsprechende Verkaufsforen weiterleiten (Facebook verbietet den Handel mit Tieren) und dort ebenfalls gerne invasive Arten weitergeben.
  • 7

Wissen ist Macht und Macht ist Kraft und Kraft ist Energie und Energie ist Materie und Materie ist Masse und deshalb krümmen große Ansammlungen von Wissen Raum und Zeit (Die Gelehrten der Scheibenwelt - Pratchett/Stewart/Cohen)
Benutzeravatar
NIPIAN
Administrator
 
Beiträge: 281
Registriert: Sonntag 6. April 2014, 10:43
Bewertung: 599

Re: Invasiveness is linked to greater commercial success (..

Beitragvon Merkur » Dienstag 23. März 2021, 18:15

Zu dem von NIPIAN verlinkten Artikel
Invasiveness is linked to greater commercial success in the global pet trade
Jérôme M. W. Gippet and Cleo Bertelsmeier. PNAS April 6, 2021
Department of Ecology and Evolution, University of Lausanne, 1015 Lausanne, Switzerland
Significance
The global pet trade may accelerate the spread of invasive species around the world, which threatens native biodiversity and impacts human economy and health. Here, using an extensive metaanalysis, we show that invasive species are strongly overrepresented across mammals, birds, reptiles, amphibians, and fish traded as pets. Even in the emergent trade of ants as pets, which is too recent to be responsible for any invasions yet, we found an overrepresentation of invasive species. This indicates that the pet trade not only creates opportunities for invasions, but that it favors specifically invasive species. These findings call for the rapid implementation of strict international regulations of the trade in animals as pets.
Ich übersetze es mal, für Ameisenfreunde, die mit dem Englisch Schwierigkeiten haben:

Invasive Eigenschaften führen zu größerem Verkaufserfolg im globalen Heimtier-Handel
Bedeutung
Der globale Heimtierhandel kann die Geschwindigkeit der Ausbreitung invasiver Arten über die Welt beschleunigen, was die natürliche Biodiversität gefährdet und die Wirtschaft sowie die Gesundheit der Menschen beeinträchtigt. Hier zeigen wir in einer umfassenden Metaanalyse, dass invasive Arten von Säugetieren, Vögeln, Reptilien, Amphibien und Fischen im Heimtierhandel stark überrepräsentiert sind. Selbst im wachsenden Handel mit Ameisen als Heimtiere, der bisher noch zu jung ist um für Invasionen verantwortlich gemacht zu werden, fanden wir einen übermäßig großen Anteil invasiver Arten. Diese Ergebnisse erfordern die rasche Einführung einer internationalen Reglementierung des Handels von Tieren als Heimtiere.

Aus Suppl. 1 zum Text:
Invas.-overrepres..jpg
Ausschnitte der Tabelle S1; letzte Zeile : Ameisen.
AMEISEN: Gesamte Artenzahl: 15.377 / Global invasive Arten: 255 / = 1,66 % der Arten / Anzahl gehandelter Arten: 520 / davon invasiv: 57 / = Prozent der gehandelten: 10,96
In Rot: Grad der Über-Repräsentation invasiver unter den gehandelten, bei Ameisen also 6,6 - Im Vergleich dazu bei Amphibien 8 – 9; bei Pflanzen (ganz oben) 23,4.

Wenn man so die Diskussionen in Ameisenhalter-Foren und anderen Medien verfolgt, trifft man immer wieder auf Äußerungen, wonach (irgendwo bereits) invasive oder schädliche Arten, sowie solche mit hoher Ausbruchs-Freudigkeit eben wegen dieser Eigenschaften geschätzt und als „Herausforderung“ betrachtet werden. Professionelle Händler scheuen sich zum Teil nicht, solche Wünsche zu erfüllen. :roll:
Mein vorwarnender Artikel von 2004 ist unter den 71 zitierten Beiträgen enthalten. Nun wächst offenbar die Aufmerksamkeit für die Risiken, die mit dem weltweiten Heimtierhandel verbunden sind.

MfG,
Merkur
  • 6

Benutzeravatar
Merkur
Beirat
 
Beiträge: 3583
Registriert: Sonntag 6. April 2014, 07:52
Wohnort: Reinheim
Bewertung: 9807

Re: Invasiveness is linked to greater commercial success (..

Beitragvon Teleutotje » Freitag 26. März 2021, 14:24

Very good article... got a copy of the first author...
  • 0

Teleutotje
" Tell-oo-toat-yeh "

" I am who I am , I think ... "
Benutzeravatar
Teleutotje
Mitglied
 
Beiträge: 1240
Registriert: Freitag 1. August 2014, 18:01
Wohnort: Nazareth, Belgium
Bewertung: 1160

Re: Invasiveness is linked to greater commercial success (..

Beitragvon Teleutotje » Freitag 26. März 2021, 19:55

Prof. Buschinger's article from 2004 you can find here: https://myrmecologicalnews.org/cms/inde ... format=raw
  • 2

Teleutotje
" Tell-oo-toat-yeh "

" I am who I am , I think ... "
Benutzeravatar
Teleutotje
Mitglied
 
Beiträge: 1240
Registriert: Freitag 1. August 2014, 18:01
Wohnort: Nazareth, Belgium
Bewertung: 1160

Re: Invasiveness is linked to greater commercial success (..

Beitragvon Merkur » Samstag 27. März 2021, 16:50

Ein paar Diskussionsbemerkungen zu dem Artikel über Invasivness und den globalen Ameisenhandel:

Den kompletten Artikel konnte ich noch nicht lesen. Aber die hier referierten Teile enthalten einige Angaben und Zahlen, über die man diskutieren kann. Ich kopiere hier nochmals den Abschnitt „Bedeutung“ ein:
Der globale Heimtierhandel kann die Geschwindigkeit der Ausbreitung invasiver Arten über die Welt beschleunigen, was die natürliche Biodiversität gefährdet und die Wirtschaft sowie die Gesundheit der Menschen beeinträchtigt. Hier zeigen wir in einer umfassenden Metaanalyse, dass invasive Arten von Säugetieren, Vögeln, Reptilien, Amphibien und Fischen im Heimtierhandel stark überrepräsentiert sind. Selbst im wachsenden Handel mit Ameisen als Heimtiere, der bisher noch zu jung ist um für Invasionen verantwortlich gemacht zu werden, fanden wir einen übermäßig großen Anteil invasiver Arten. Diese Ergebnisse erfordern die rasche Einführung einer internationalen Reglementierung des Handels von Tieren als Heimtiere.
In der von mir rot markierten Begründung wird nur die Bedeutung der relativ kurzen Zeit seit Beginn des Ameisenhandels genannt:
Es ist richtig, dass bei vielen invasiven Arten eine oft lange Zeit vergeht, bis sie im „neuen“ Lebensraum wirklich entdeckt, bemerkt werden. Doch spielt mit Sicherheit auch die „Sichtbarkeit“ der jeweiligen Arten eine sehr große Rolle!

Während größere Pflanzen wie der Riesen-Bärenklau oder das Drüsige Springkraut bereits als Einzelexemplare gut erkennbar sind, können kleine Insekten wohl über Jahrzehnte unentdeckt bleiben, bis mal auf die entsprechende Gruppe spezialisierte Forscher auf ihre Existenz aufmerksam werden. Doch trotz bekanntlich groß angelegter Bekämpfungs- und Ausrottungsaktionen gegen die genannten Pflanzen halten sie sich seit Jahrzehnten, und breiten sich weiter aus!
Kann sich jemand vorstellen, wie man eine invasive Ameisenart, die in der „freien Natur“ andere Ameisenarten verdrängt oder andere wichtige Kleintiere gefährdet, wirkungsvoll aufspüren und bekämpfen soll?

Das bereits in früheren Diskussionen in den Ameisenforen immer wieder vorgebrachte Argument, dass es bisher kein Beispiel für eine durch Ameisenhandel bzw. Ameisenhalter verursachte Ansiedlung einer invasiven Art gebe, ist ein populistisches Scheinargument: Eine solche Ansiedlung würde zunächst, und vermutlich lange Zeit, nicht auffallen, s.o.!
Und nach Jahren der allmählichen, unbeobachteten Ausbreitung wäre es völlig unmöglich, die Ansiedlung zu dem oder den Verursacher(n) zurück zu verfolgen! Keiner würde sich freiwillig zu erkennen geben.
Da tatsächlich einige exotische Arten durch Welthandel und Warenverkehr etc. verschleppt wurden (Pharaoameise, Solenopsis invicta, Linepithema humile, …), ist es natürlich einfacher, auch für zukünftige bzw. noch unentdeckte Einschleppungs-Ereignisse dieselben Verursacher verantwortlich zu machen. :roll:

Bemerkenswert und bedenklich sind jedenfalls die in der Tab.S1 genannten Zahlen:
520 gehandelte Ameisenarten. Darunter 57 als invasiv bereits bekannte!

Wie viele unter den 15.377 bekannten Ameisenarten (plus der noch unbeschiebenen) werden noch in den Handel gelangen? Und wie viele davon haben das Potenzial, irgendwo auf der Erde invasiv zu werden? :roll:
Und welchen Sinn macht es, die weitere Verbreitung bereits als invasiv bzw. schädlich bekannter Arten zu riskieren, durch den Verkauf an Halter, die z. T. wenig verantwortungsbewusst handeln oder ihre Fähigkeiten zur sicheren Handhabung der Tiere erheblich überschätzen?

MfG,
Merkur
  • 3

Benutzeravatar
Merkur
Beirat
 
Beiträge: 3583
Registriert: Sonntag 6. April 2014, 07:52
Wohnort: Reinheim
Bewertung: 9807

Re: Invasiveness is linked to greater commercial success (..

Beitragvon Phil » Dienstag 30. März 2021, 09:58

Es ist natürlich fast schon ein bisschen offensichtlich, dass invasive Arten überrepresenativ im Handel sind: Sie sind häufig, leicht zu fangen und auch zu halten.

Was mir an dem Paper nicht so gefällt ist die Definition von 'invasiv'. Eine Art wurde als invasiv gezählt, sobald sie einen Nachweis außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebietes hat. Dadurch nimmt diese Artliste relativ inflationäre Ausmaße an, begünstigt durch besonders gut besammelte Regionen, im speziellen Europa: Nicht wenige der 'Invasoren' kommen exotisch nur z.B. auf einer Insel mit guter Anbindung zu Festlandeuropa vor (z.B. Temnothorax unifasciatus - Großbrittanien; Aphaenogaster senilis - Azoren). Und in Europa findet ein Großteil des Ameisenhandels statt (wie auch schön im Paper gezeigt wird).
Man könnte jetzt z.B. mit den selben Daten auch einfach behaupten, dass europäische Arten viel invasiver sind als der Rest (vielleicht stimmt das auch?): Von den 255 invasiven Ameisenarten stammen 38 aus Europa, mit dem selben statistischen Test ergibt das eine starke Überrepresentation (chi-square p<0.0001, Skript s.u.). Der Handel ist in Europa am größten, und daher wird dann auch relativ gesehen am meisten mit invasiven (aber in Europa einheimschen!) Arten gehandelt.

Hier die Liste der 38 invasiven Arten des Papers mit natürlichen Verbreitungsgebiet in Europas (vielleicht hab ich auch noch welche übersehen?). Euch fällt auf, dass es einige sehr häufig gehandelte einheimische Arten beinhaltet, wie Lasius niger und Temnothorax unifasciatus.

Aphaenogaster gemella
Aphaenogaster iberica
Aphaenogaster senilis
Crematogaster scutellaris
Formica paralugubris
Lasius citrinus
Lasius emarginatus
Lasius grandis
Lasius niger
Lepisiota frauenfeldi
Messor minor
Messor structor
Messor lusitanicus
Monomorium subopacum
Myrmica lobulicornis
Myrmica rubra
Myrmica specioides
Pheidole pallidula
Tapinoma madeirense
Tapinoma nigerrimum
Temnothorax angustifrons (? -Art aus der Türkei, ich habe kein invasionsgebiet gefunden)
Temnothorax unifasciatus
Tetramorium atratulum
Tetramorium immigrans

Hier das R-Skript für den Chi-squ. Test:

#
europeANTS<-c(39, 700) #ich bin mal von 700 europäischen Arten ausgegangen - weiß aber nicht wie viele es tatsächlich sind? Hat jemand eine genaue Zahl?
allANTS<-c(255, 15122)
#
resANTS <- chisq.test(europeANTS, p = allANTS/sum(allANTS))
resANTS # X-squared = 55.142, df = 1, p-value = 1.121e-13
#
  • 3

Phil
Mitglied
 
Beiträge: 61
Registriert: Freitag 18. April 2014, 13:15
Bewertung: 190

Re: Invasiveness is linked to greater commercial success (..

Beitragvon Phil » Dienstag 30. März 2021, 10:22

Und um meinen Punkt nochmal etwas zu verdeutlichen, hier die Top 10 Liste der meistgehandelten Invasoren (laut diesem Paper):

1- Lasius niger - 48 Verkäufer
2- Tetramorium immigrans - 24 Verkäufer (wer die wohl bestimmt hat?)
3- Messor structor - 22 Verkäufer
4- Myrmica rubra - 20 Verkäufer
5- Camponotus pennsylvanicus - 13 Verkäufer
6- Crematogaster scutellaris - 13 Verkäufer
7- Formica rufibarbis - 10 Verkäufer
8- Solenopsis geminata - 9 Verkäufer
9- Lasius emarginatus - 9 Verkäufer
10- Aphaenogaster senilis - 6 Verkäufer

Man sieht, dass es sich bis auf zwei Arten (Camp. pennsylvanicus und Sol. geminata) um europäische Arten handelt.
Warum C. pennyslvanicus als invasiv eingestuft wurde, weiß ich nicht (laut antmaps gibt keine etablierten exotischen Freilandkolonien, nur "Indoor").

Grüße, Phil
  • 2

Phil
Mitglied
 
Beiträge: 61
Registriert: Freitag 18. April 2014, 13:15
Bewertung: 190

Re: Invasiveness is linked to greater commercial success (..

Beitragvon di4pr » Dienstag 30. März 2021, 15:44

Was wären den objektive oder gar messbare Kriterien für Invasivität? Dass diese schwer bis kaum vorhersagbar ist, gehört doch nach meinem Verständnis zu den großen Problemen der Invasionsbiologie - also dass z.B. eine bisher unauffällige Art in der richtigen Umgebung invasiv werden kann. Dazu kommen das zunehmend dynamische Klima etc.. Ob die Arten nun aus Europa oder woher auch immer kommen, ist dabei doch erst einmal egal (Myrmica rubra in Nordamerika?). Wieviele Belege in einer wie intensiv besammelten Region sollte es denn geben, damit eine Art als kritisch eingestuft werden kann?
  • 1

Life finds a way!
Benutzeravatar
di4pr
Mitglied
 
Beiträge: 71
Registriert: Samstag 20. Mai 2017, 09:30
Wohnort: Berlin
Bewertung: 121

Re: Invasiveness is linked to greater commercial success (..

Beitragvon Phil » Dienstag 30. März 2021, 16:13

Das ist natürlich nicht so einfach zu beantworten, und es streiten sich die Experten was eigentlich invasiv ist (nur Arten die ökologischen Schaden anrichten?). Aber darauf will ich gar nicht unbedingt hinaus. Ich hatte gehofft, zumindest eine Datenbank mit aktuellen invasive Ameisenarten zu finden zum Vergleich, aber existiert scheinbar keine (?). Es gibt eine etwas ältere von 1999 (McGlynn), welche keine von den zahlreichen fragwürdigen Arten drin hat, aber sie ist eben auch alt.
Ein Weg damit umzugehen wäre nur solche als Invasiv zu bezeichnen, die sich über ihren biogeografischen Realm hinaus vorkommen (also z.B. von Palärarktis nach Neotropen) - das hat auch McGlynn so gemacht.

Anyway: Wenn es sich nur um ein paar solcher Fälle gehandelt hätte, hätte ich kein Problem damit gehabt. Keine Liste ist perfekt, und einzelne fragwürdige Datenpunkte beeinflussen die Analyse oft nicht, wenn der Rest robust ist. Hier ist es aber sehr auffällig: Unter den oben gelisteten Top 10 (also den in der Statistik am stärksten gewichteten Arten) sind mindestens 5 Arten dabei denen ich den Invasions-Status als sehr fragwürdig bezeichnen würde:

Formica rufibarbis: Angeblich invasiv in Marokko (?). Ist auch nicht weit weg vom natürlichen Verbeitungsgebiet.
Messor structur: Angeblich invasiv in Ägypten, Maderia, Marokko. Zum einen nicht weit von der natürlichen Verbreitung, dazu kommt der komplizierte taxonomische Status von Messor der mich daran Zweifeln lässt.
Crematogaster scutellaris: Invasiv in Deutschland + Niederlande. Ja, es gibt etablierte Freilandkolonien, aber es existiert auch keine geografische Ausbreitungsbarriere. Der Grund warum sie nicht hier sind ist vermutl. rein klimatisch, und die Zuordnung daher eher wegen der politischen Grenze.
Aphaenogaster senilis. Angeblich invasiv auf den Kanaren, ist aber ungeklärt (von Originalquelle Wetterer et al. 2004: 'Aphaenogaster senilis, which is not widely distributed, were restricted to disturbed sites and appear to be exotic'.)
Camponotus pennsylvanicus: Nur 'indoor introduced' (Ist nicht eigentlich jede Ameise in der Haltung 'indoor introduced'?)

Die Frage ist: Kann man dann dem Rest der Analyse noch trauen? Am besten wäre eine konservativere, restriktivere Analyse mit den schlimmsten bekannten invasiven Ameisenarten (und die kennt man) zu machen und diese zu vergleichen.
  • 2

Phil
Mitglied
 
Beiträge: 61
Registriert: Freitag 18. April 2014, 13:15
Bewertung: 190

Re: Invasiveness is linked to greater commercial success (..

Beitragvon Merkur » Mittwoch 31. März 2021, 19:54

Hallo Phil (und andere an der Diskussion Beteiligte),

Ich möchte ein wenig gegenhalten. Inzwischen habe ich den ganzen Artikel zur Hand:
Die Arbeit betrachte ich nicht als grundsätzlich schlecht, und die fragliche Zuordnung einiger Arten als „invasiv“ ändert m. E. nichts an der grundsätzlichen Aussage.

Bei der Untersuchung handelt es sich um eine Meta-Analyse, eine m. E. äußerst fleißige Zusammenstellung der verfügbaren Daten. (Vielleicht ist es eine Kandidatenarbeit, Master oder Diss?).
Die Analyse betrifft einen begrenzten Zeitraum, Juli bis Dez. 2017 (!), eine reine Internet-Recherche.

Sie beinhaltet den Handel mit Pflanzen, Säugetieren, Vögeln, Reptilien und Amphibien, weltweit (worüber es bereits Analysen gibt, und wo bekanntlich vieles im Argen liegt!).
Genauer untersucht wurde der Handel mit Ameisenarten, wobei nur die von den Händlern preisgegebenen Daten abgerufen werden konnten. Ausgeschlossen wurde der Handel über Amazon, eBay,
private Verkäufe und private Importe (Direktkauf bei Anbietern in Australien, China etc.), über die keine Daten zu erhalten sind. Insbesondere sind dazu keine gesicherten Artnamen verfügbar.
Ausgeschlossen wurden auch die ohnehin nur bis zur Gattung identifizierten (und das sind ja nicht wenige!).
Die andernorts geäußerte Kritik daran, dass keine Verkaufszahlen der Shops angegeben werden, ist müßig: Das betrachten die Inhaber als heiliges Betriebsgeheimnis!

Auch die weitest-mögliche Definition von „invasiv“ muss man akzeptieren: Jede beliebige andere Definition hätte ebenfalls Kritik hervorgerufen.
Es bringt auch nichts, hier in den Foren einzelne Arten herauszugreifen und die Berechtigung ihrer Einstufung als „invasiv“ zu hinterfragen. Myrmica rubra ist in Mitteleuropa nicht invasiv, wohl aber in Teilen Nordamerikas. Anergates atratulus (die arbeiterlose Parasitenameise bei Tetramorium sp.) ist zwar zusammen mit ihren Wirten von Europa nach Nordamerika verschleppt worden, wohl bereits vor dem Zeitalter der Dampfschifffahrt mit getopften Obstbäumchen, aber garantiert braucht niemand eine „Invasion“ dieser Art zu befürchten.

Doch es sieht anders aus, denkt man an Solenopsis invicta, oder Linepithema humile und etliche andere Arten. Jedes Beispiel einer „erfolgreichen“ Invasion muss man als Warnung verstehen: Wenn und falls eine Art sich in einer neuen Umgebung zu einer Bedrohung für die lokale Fauna entwickelt, können die Folgen verheerend sein, und sie sind unumkehrbar!
Nur notorische Hellseher können für eine beliebige Camponotus, Pheidole, Tetramorium-Art, die neu in den Handel kommt, von vornherein eine invasive Entwicklung ausschließen!
Und eine einzige invasive Art reicht völlig aus, um Teile einer lokalen Fauna an den Rand der Ausrottung zu bringen!

Als sehr positiv betrachte ich, dass nun endlich das Augenmerk auf die Schattenseiten des ungehemmten Handels mit (potenziell) riskanten Arten gelenkt wird, wobei man über die verschiedenen behandelten Tiergruppen und die Pflanzen ja bereits vieles lesen konnte und kann.
Vor den Risiken des Imports allochthoner Ameisenarten hatte ich 2004 bereits gewarnt, doch das hatte außer Ablehnung in den Ameisenforen wenig Konsequenzen.
Es ging mir dabei um insgesamt fünf Risikobereiche: "Entkommene Ameisen können (1) sich zu Schadameisen in Gebäuden entwickeln; (2) als invasive Arten im Freiland auftreten; (3) Parasiten und Krankheitserreger tragen, die möglicherweise auf einheimische Arten überspringen; (4) native Tier- und Pflanzenzönosen sowie ökosystemare Funktionen beeinträchtigen; (5) auch "intraspezifische Homogenisierung" könnte eintreten."
Damals handelte es sich noch um verhältnismäßig wenige Arten, und eine Handvoll Händler. Jetzt, 16 Jahre später, hat sich die Ameisenhaltung wie ein Flächenbrand fast weltweit ausgebreitet. :roll:

Doch es geht beim Import potenziell riskanter Spezies ja nicht nur um Ameisen. Vergleichbare Probleme gibt es auch mit anderen Arthropoden, ob als Futtertiere, Reinigungs-Personal oder zur Bekämpfung von Milben für die Ameisenhaltung importiert, oder um Heuschrecken, Mantiden, Wanzen, Käfer, Spinnen, Tausendfüßer etc., die ebenfalls in Massen gehalten und gehandelt werden. Es wird wirklich Zeit, dass sich die Umwelt- und Naturschutzbehörden gründlich mit der Problematik befassen!

Lesenswert ist übrigens auch dieser Artikel.

Über die Arbeitgruppe von Prof. Bertelsmeier an der Uni Lausanne kann man sich hier informieren: Arbeitsbereich Invasion Ecology.

Die Arbeit wurde am 3. August 2020 eingereicht, und nach anscheinend langwierigem Peer-Reviewing am 11. Feb. 2021 angenommen. Danksagungen gehen u.a. an Prof. Laurent Keller, einen anerkannten Ameisenforscher an der Uni Lausanne.

MfG,
A. Buschinger
  • 4

Benutzeravatar
Merkur
Beirat
 
Beiträge: 3583
Registriert: Sonntag 6. April 2014, 07:52
Wohnort: Reinheim
Bewertung: 9807

Re: Invasiveness is linked to greater commercial success (..

Beitragvon heldderameisen » Freitag 2. April 2021, 18:29

Merkur hat geschrieben:Die Arbeit wurde am 3. August 2020 eingereicht, und nach anscheinend langwierigem Peer-Reviewing am 11. Feb. 2021 angenommen. Danksagungen gehen u.a. an Prof. Laurent Keller, einen anerkannten Ameisenforscher an der Uni Lausanne.


Scheinbar war das Peer-Review so gründlich, dass man nicht mal gemerkt hat, dass in den csv Dateien Gattung mit Art vertauscht wurde... Schon peinlich so etwas.

Wie soll man von Journalisten erwarten, dass sie keine Fehler bei ihren Artikeln zu biologischen Themen machen, wenn es scheinbar nicht mal Biologen selber schaffen.

Was ich mich noch frage ist, ob man bei den Pflanzen auch alle Pflanzen als invasiv gezählt hat, die lediglich einene einzigen Nachweis außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebietes haben. Zählen dazu dann auch Gärten?
  • 0

Je kleiner das Sandkörnlein ist, desto sicherer hält es sich für den Mittelpunkt der Welt. Bescheidenheit ist eine große Tugend - besonders bei anderen Menschen. Wer seine Meinung nie zurückzieht, liebt sich selbst mehr als die Wahrheit.
heldderameisen
Mitglied
 
Beiträge: 8
Registriert: Freitag 2. April 2021, 14:23
Bewertung: -99


Zurück zu Wissenschaft und Medien

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 39 Gäste

Reputation System ©'