Sympatrische Artbildung parasitischer Ameisen? Ja!

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Sympatrische Artbildung parasitischer Ameisen? Ja!

Beitragvon Merkur » Freitag 22. August 2014, 18:07

Phil hat im Eusozial auf eine neue Arbeit zu diesem Thema aufmerksam gemacht:

C. Rabeling, T. R. Schultz, N. E. Pierce, M. Bacci (2014): "A Social Parasite Evolved Reproductive Isolation from Its Fungus-Growing Ant Host in Sympatry." Current Biology; DOI: http://dx.doi.org/10.1016/j.cub.2014.07.048
Ein weiterer Artikel dazu: http://www.sciencedaily.com/releases/20 ... 124835.htm
(Mit Bildern von Parasiten- und Wirtsart).

Die Gattung Mycocepurus gehört zu den "kleinen" und ursprünglichen Verwandten der Gattungen großer Pilzzüchter-Ameisen Atta und Acromyrmex.
Die erst 2010 neu beschriebene Art Mycocepurus castrator *), arbeiterinloser Sozialparasit (Inquiline) bei der Mycocepurus goeldii, ist nach molekulargenetischen Untersuchungen direkt aus ihrer Wirtsart hervorgegangen. Dabei ist sogar anzunehmen, dass sie in Sympatrie reproduktive Isolation von der Stammform erreicht hat.

Allgemein wird angenommen, dass die meisten Artaufspaltungen infolge der Trennung von Populationen einer Ausgangsart z. B. durch geographische Barrieren erfolgen; in Allopatrie entwickeln sich die getrennten Populationen bis hin zu einer reproduktiven Isolation, also zu getrennten Arten. Nur wenige Ausnahmen sind bisher bekannt geworden.

Auch für die sozialparasitischen Ameisen, die (abgesehen von Gastameisen) in nächster Verwandtschaft zu ihren Wirtsarten stehen, wurde diskutiert, dass zunächst eine allopatrische Arttrennung erfolgte, und dass danach eine der Tochterarten zum Parasiten der anderen wurde.

Mir kam dies irgendwie unwahrscheinlich vor, zumal es bis dato kein Beispiel dafür gibt, dass etwa eine Art in einem Teil ihres Areals frei und selbständig lebt, und in einem Überlappungsgebiet mit der Schwesterart bei dieser parasitieren würde. Seit 1970 habe ich daher in mehreren Veröffentlichungen eine sympatrische Speziation der Sozialparasiten postuliert (wobei mich der Schweizer Myrmekologe Heinrich Kutter mit einer ähnlichen Hypothese zum Nachdenken gebracht hatte!). Zu meiner Freude sind in dem neuen Beitrag von Rabeling et al. diese Arbeiten zitiert. Das Literaturverzeichnis der Arbeit ist frei zugänglich, ansonsten nur das Summary:
References: http://www.cell.com/current-biology/ref ... %2900911-7
Summary: http://dx.doi.org/10.1016/j.cub.2014.07.048

Die neue parasitische Art M. castrator wurde bisher ausschließlich in einer Gruppe von Eukalyptus-Bäumen (ausgerechnet australische Bäume!) auf dem Campus der São Paulo State University in Brasilien gefunden. Die molekularen Daten weisen auf ein sehr jugendliches Alter der neuen Art hin: Sie habe sich erst innerhalb der letzten ca. 37.000 Jahre von der Stamm- (und jetzt Wirts-)-Art getrennt.

Die Autoren betonen, dass die Geschlechtstiere der Wirtsart sich in der Luft verpaaren, während die Parasiten zur Nestkopula übergegangen seien. Um ihre Identität als parasitische Art zu bewahren, hätten sie die Anpassungen zum Hochzeitsflug verloren, wodurch es ihnen unmöglich wurde, sich mit der Wirtsart zu verpaaren.
Nun, Nestkopula ist bei vielen Sozialparasiten, besonders bei den Inquilinen, bereits lange beobachtet und mit der reproduktiven Isolation zwischen Wirts- und Parasitenart in Verbindung gebracht worden! Hinzu kommt bei der allgemeinen Seltenheit und geringen Anzahl der Parasiten, dass man im Mutternest halt leichter Sexualpartner findet als auf einem Hochzeitsflug! Nur das Problem der Inzucht muss dabei überwunden werden, aber auch das haben viele Sozialparasiten irgendwie gelöst.

*) Rabeling, C. and Bacci, M. A new workerless inquiline in the Lower Attini (Hymenoptera: Formicidae), with a discussion of social parasitism in fungus-growing ants. Syst. Entomol. 2010; 35: 379–392. Das Art-Epithet “castrator” bezieht sich darauf, dass die Parasitenart anscheinend die Produktion von Geschlechtstieren der Wirtsart verhindert.

MfG,
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Re: Sympatrische Artbildung parasitischer Ameisen? Ja!

Beitragvon Merkur » Samstag 23. August 2014, 11:17

C. Rabeling hat mir die Originalarbeit über Mycocepurus castrator inzwischen zugesandt.

Einige weitere Einzelheiten aus der Beschreibung von M. castrator möchte ich gerne ergänzen:
Rabeling, C. & Bacci M. 2010. A new workerless inquiline in the Lower Attini (Hymenoptera: Formicidae), with a discussion of social parasitism in fungus-growing ants. Systematic Entomology 35:379-392.
Danach erstrecken sich die Nester der Wirtsart und auch das eine bisher entdeckte parasitierte Nest bis fast 2 m unter die Bodenoberfläche, mit Pilzkammern ab etwa 30 cm, aber auch bis 1.90m; bei der Suche wurde sicherheitshalber bis in 2.50 m Tiefe gegraben. Sicher keine „coole“ Tätigkeit im volltropischen Klima! ;) Dass es bei solchem Aufwand sehr schwierig ist, mehrere Nester komplett auszugraben und zu untersuchen, ist verständlich. Von der Wirtsart wurde allerdings eine ganze Anzahl von Nestern ausgebuddelt.

Zu Rabelings Biografie und Forschung:
http://www.antwiki.org/wiki/Rabeling,_Christian Er wurde besonders bekannt durch die Beschreibung der berühmten „Marsameise“ Martialis heureka
C. Rabeling, J. M. Brown, M. Verhaagh: Newly discovered sister lineage sheds light on early ant evolution. In: PNAS. 2008. http://www.pnas.org/content/105/39/14913.full

MfG,
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