Ameisenlarven mit sehr kleinen Köpfen: Anpassung an Beute

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Ameisenlarven mit sehr kleinen Köpfen: Anpassung an Beute

Beitragvon Merkur » Freitag 13. März 2015, 16:30

Eine Untersuchung von 2008 belegt, dass die Larven einiger Ameisengattungen auffällig schmale Köpfe haben, so dass sie sich gut in bestimmte Beutetiere hineinfressen können. Da auch Myrmecina und Manica genannt sind, als Beispiele für stenocephale bzw. normale Larven, denke ich, dass die Arbeit von einigem Interesse sein könnte.

http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/18089131
Masuko, K. 2008: Larval stenocephaly related to specialized feeding in the ant genera Amblyopone, Leptanilla and Myrmecina (Hymenoptera: Formicidae). - Arthropod Struct. and Development 37:109-17.
Abstract (aus dem Engl.übersetzt)
Larven der Gattungen Amblyopone, Leptanilla und Myrmecina haben ungewöhnlich kleine Köpfe. Dieses Merkmal wird hier als Stenocephalie bezeichnet. Larven der drei Gattungen werden morphometrisch und histologisch untersucht und mit nicht-stenocephalen Larven von Cryptopone und Manica verglichen.
Die stenocephalen Larven sind sehr spezialisiert, indem ihre Ober- und Unterschlundganglien (das “Gehirn“ – Ref.) vollständig in die vorderen Thoraxsegmente verlagert sind, anscheinend als Folge des geringen Kopfvolumens.
Bei Amblyopone und Leptanilla scheint der schmale Kopf es zu ermöglichen, dass ganze Gruppen von Larven gleichzeitig am intakten Körper von Hundertfüßern fressen können, der speziellen Beute dieser beiden Gattungen.
Bei Myrmecina ermöglichen die kleinen, schmalen Köpfe den Larven das Ausfressen von teilweise geöffneten Milben der Fam. Oribatidae (Hornmilben – Ref.), der Beute, auf die diese Gattung spezialisiert ist.
Die Stenocephalie scheint also eine larvale morphologische Anpassung an die spezielle Beute zu sein. Diese Anpassung der Larven und die aktive Beteiligung der Larven an der Zerlegung der Beute sind möglich, weil Ameisen ihre Larven außerhalb von Zellen aufziehen. Nester ohne Zellen, ein universelles Merkmal der Ameisen, ermöglichen damit larvale Anpassungen, die sowohl für die Larven selbst als auch für die Funktionalität der elterlichen Kolonien von Vorteil sind. Sie erlauben ihnen, zugängliche Beute effektiver zu nutzen durch eine gut abgestimmte Kooperation zwischen adulten und larvalen Individuen.

Um eine Vorstellung davon zu vermitteln, wie eng gedrängt Larven an ein Beutestück angesetzt werden können, füge ich hier mal ein Bild von Aphaenogaster subterranea an, deren Larven zum Fressen an einen längs halbierten Mehlwurm gesetzt wurden. Auch diese Larven sind vorne „verdächtig“ schlank. (Ob man sie als stenocephal bezeichnen kann, muss ich erst an Alkoholmaterial nachprüfen).
Die Verlagerung des Gehirns, ein Zurückziehen in den Thorax, tritt übrigens bei den Larven vieler (evtl. aller) Ameisengattungen auf, wenn die reife Larve in das Vorpuppenstadium übergeht. Vor der Häutung entwickelt sich innerhalb der Vorpuppen-Cuticula die Puppe mit ihren Anhängen. Dabei enthält die larvale Kopfkapsel dann nur die dort hinein ragenden Antennen, während der Kopf der Puppe mit dem Gehirn im vorderen Thoraxbereich der Vorpuppe entsteht.
Aphaenogaster-Larven.jpg
Aphaenogaster subterranea haben ihre Larven an einen längs halbierten Mehlwurm gelegt, in den sie sich selbständig hinein fressen.

MfG,
Merkur
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Re: Ameisenlarven mit sehr kleinen Köpfen: Anpassung an Beut

Beitragvon Erne » Freitag 13. März 2015, 23:33

Eine Untersuchung von 2008 belegt, dass die Larven einiger Ameisengattungen auffällig schmale Köpfe haben, so dass sie sich gut in bestimmte Beutetiere hineinfressen können.

Für mich nicht verwunderlich/interessant, dass Ameisen (Larven) durchaus auch anpassungsfähig sind, Futtertiere zu verwerten, die gerade verfügbar sind.
Ein überaus interessantes Thema, das in Betracht zu ziehen ist, wenn es darum geht, Futter für Ameisen in der Ameisenhaltung passend anzubieten.

Grüße Wolfgang
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Erne
 

Re: Ameisenlarven mit sehr kleinen Köpfen: Anpassung an Beut

Beitragvon fehlfarbe » Samstag 14. März 2015, 01:40

Da fällt mir auch gleich Harpegnathos venator ein, die ich eine Zeit lang hatte. Die Larven haben auch recht lange "Hälse" mit kleinen Köpfen und fressen sich selbständig in ein totes Heimchen hinein. Ich habs auch direkt auf Video festgehalten :)



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Re: Ameisenlarven mit sehr kleinen Köpfen: Anpassung an Beut

Beitragvon Trailandstreet » Samstag 14. März 2015, 08:44

Bei den Mundwerkzeugen von Harpegnathos ist es ja schon fast klar, warum sich die Larven mehr oder weniger selbständig an der Beute ernähren müssen. Das ganze erinnert etwas an das Ansetzen von Blutegeln ;)
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Re: Ameisenlarven mit sehr kleinen Köpfen: Anpassung an Beut

Beitragvon Merkur » Samstag 14. März 2015, 11:58

Blutegel sind da vielleicht nicht der beste Vergleich; die füttert ja keiner, sie treiben keine Brutpflege.

Zu bedenken ist, dass es sich bei den von Masuko untersuchten Gattungen (und auch bei Aphaenogaster) nur um die großen Larven des letzten und evtl. noch des vorletzten Stadiums handelt. Jüngere Larvenstadien werden auch bei diesen Gattungen von Mund zu Mund gefüttert.
Größe und Form der Mandibeln spielen dabei keine wesentliche Rolle: Ameisen haben unterhalb der Mandibeln noch die Maxillen und das Labium, beide mit Kau- und Filterfunktion und mit je einem Paar Taster, sowie den Hypopharynx, auf dem die Speicheldrüsen ausmünden.

Es gibt bei der Pflege junger Larven ja schon erstaunliche Leistungen, denkt man daran, dass die riesigen Königinnen von Atta oder Carebara in der Koloniegründung auch selbst solche Winzlinge mit Nahrung versorgen müssen. (Ich ziehe jetzt mal nicht in Betracht, dass bei einigen Ameisenarten die neu geschlüpften Eilärvchen sich als erstes ein benachbart liegendes Ei, oder ein Nährei, selbständig zu Gemüte führen. Auch danach sind sie noch winzig).

@Erne:
Für mich nicht verwunderlich/interessant, dass Ameisen (Larven) durchaus auch anpassungsfähig sind, Futtertiere zu verwerten, die gerade verfügbar sind.
Das Wort „Anpassung“ hat zwei ganz unterschiedliche Bedeutungen, die in den Ameisenforen leider nur zu oft verwechselt werden:
Die eine ist die „individuelle“ Anpassung, bei der sicher nicht die Kopfform an zufällig andere Nahrung angepasst wird. Auch beim Jahreszyklus gibt es ja oft solche Missverständnisse: Weil es tropische Ameisenarten gibt, die unter dauerhaft günstigen Umständen keine Winterruhe benötigen, kann man auch unsere einheimischen Arten „warm durchpflegen“; sie „müssen sich halt anpassen“. :crazy:

Etwas ganz anderes ist die evolutive Anpassung einer Art oder Gattung, die tausende von Generationen und damit zehn- bis hunderttausende von Jahren oder noch viel länger benötigt!

Im Falle der selbst fressenden Larven mit stenocephalen Köpfen und den damit verbundenen Umformungen ist weiterhin zu bedenken, dass sie vor allem bei generell ursprünglicheren Ameisengruppen vorkommen, u. a. bei Ponerinae und Leptanillinae. Das erinnert daran, dass Ameisen sich ja vor 100 - 120 Millionen Jahren aus solitären „Wespen“ entwickelt haben. Man denkt dabei u. a. an parasitoide Wespen (etwa ähnlich den Schlupfwespen oder Grabwespen), deren Larven sich selbständig fressend innerhalb von bzw. an Wirtstieren entwickeln.
Eher erstaunlich ist daher, dass es solche stenocephalen Larven auch „noch“ bei höheren Ameisen-Unterfamilien wie den Myrmicinae gibt; die größeren Larvenköpfe „moderner“ Ameisen haben sich also vielleicht als Anpassung an die geänderte Futterversorgung entwickelt. Beispiele sind Larven, denen Arbeiterinnen größere Futterbrocken auf den Bauch legen, wo sie dann von den Larven zerkleinert und gefressen werden.
Siehe: http://ameisenwiki.de/index.php/Ern%C3% ... von_Larven und https://www.youtube.com/watch?v=jU2NYrrquK0

MfG,
Merkur
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