Der Fall
In einem 8-Parteien-Haus (Bauzeit Mitte 1990er Jahre) in Mittelfranken wurden Ameisen seit 1998 zunehmend lästig. Eine Fachfima hatte die Ameisen Jahre zuvor als vermeintliche Pharaoameisen „bekämpft“. Bei einer schädlingsbiologischen Bestandsaufnahme im Herbst 2009 fanden sich in der 1. Etage unter einer Küchenzeile tote Ameisen und Puppenhüllen in bis ca. 20cm hohen Haufen variabler Zusammensetzung. Bis in die Dämmerung hinein liefen Arbeiterinnen auf Futtersuche im Haus und im Außenbereich umher.
Nach Angaben der Mieter hatte im Sommer eine auffällig breite Ameisenstraße in die kränkelnde Buche hinterm Haus geführt. Der Ameisenexperte Dr. Bernhard Seifert vom Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz bestätigte dankenswerterweise den Verdacht, dass es sich um Lasius neglectus (VAN LOON et al. 1990) handelt, die im Deutschen als die Vernachlässigte oder Übersehene Ameise bekannt ist.
Bei einer internationalen Zählung erhielt der geschilderte AmeisenFall die Nr. 133 und gilt seitdem offiiell als erstes Auftreten von L. neglectus in einem Wohnhaus in Deutschland. Internet-Recherchen legen indes die Vermutung nahe, dass es mehrere Vorkommen
in Häusern gibt, zumindest in Süddeutschland. Die Buche ist inzwischen quasi abgestorben. Es gab einerseits weitere erfolglose
Bekämpfungsversuche durch ein Unternehmen, andererseits ermutigende Teilerfolge. Es stellt sich die Frage, wie mit der Ausbreitung von L. neglectus sinnvollerweise umzugehen ist.
Ausbreitung von Lasius neglectus
Die Verbreitung geschieht (soweit bekannt) nicht durch flegende Jungköniginnen, sondern langsam “zu Fuß” – wahrscheinlich weniger als ein Kilometer pro Jahr, oder - und das scheint der wichtigste Modus zu sein, durch Verschleppung kleinerer Kolonieteile, z.B. in Blumentöpfen. Das Vordringen nach Mitteleuropa erfolgt anscheinend durch passiven Transport mit Pflnzen und Erdmaterial. Botanische Gärten und Gärtnereien können daher als „Brückenköpfe“ dienen.
Wie sieht Lasius neglectus aus?
Bei näherem Hinschauen sind die Ameisen, die auf den ersten Blick wie Gartenameisen erscheinen, eintönig braun. Der Farbe ist nichts hinzuzufügen – etwa wie alle Farben des Regenbogens gründlich zusammengemischt. Beine und Fühler können etwas weniger braun sein. Zwischen den Arbeiterinnen laufen ungeflgelte Königinnen. Große Ähnlichkeit besteht mit L. alienus, mit der sie anfänglich verwechselt wurde.
Vermehrung von Lasius neglectus
Die Begattung erfolgt im Nest, ein Schwarmflg fehlt, obwohl die Tiere die Fähigkeit dazu hätten. Zur Verschleppung reicht eine einzige begattete Königin. Es kann allerdings mehrere Jahre dauern, bis sich daraus eine auffallende Superkolonie entwickelt.
Lasius neglectus als Haustier
Die Ameisen stechen nicht und verspritzen auch keine Ameisensäure. Dennoch muss vor der möglichen Ausbreitung der Art durch
Ameisenhalter und Ameisenhandel dringend gewarnt werden. In einem der Ameisenforen wurde die Art bereits als “für Anfänger geeignet” charakterisiert. Insbesondere wegen der hohen Verwechslungsgefahr muss man von polygynen Arten, die Lasius niger ähneln, die Finger lassen.[Stand 2012!]
Wie werde ich Lasius neglectus wieder los?
Bei Verdacht muss umgehend die Art sicher bestimmt werden. Bestätigt sich der Verdacht, sollte systematisch und mit schädlingsbiologischer Begleitung vorgegangen werden. Eine sorgfältige Befallsermittlung ist unabdingbar. Der Umfang des Befalls muss vollständig erfasst werden. Für die Bekämpfung und nachhaltige Abwehr muss ein Gesamtkonzept aus vielen einander verstärkenden Maßnahmen individuell erstellt werden. Voraussetzungen für den Erfolg ist aufrichtiges Interesse. Und ja, es kostet Geld und Achtsamkeit – über einen längeren Zeitraum.
Eine Bekämpfung ist zwar bisher nicht gelungen, aber wahrscheinlich durchaus möglich, wenn sofort und umfassend damit begonnen wird, bevor sich eine Superkolonie voll entwickelt. In Franken gab es höchst aufschlussreiche Beobachtungen und vielversprechende Teilerfolge in Zusammenarbeit mit der Autorin. Die größte Herausforderung im dargestellten Fall dürfte darin bestehen, die Verantwortlichen von der Dramatik des Problems zu überzeugen. Nur wenn das gelingt, und nur bei Einschaltung wissenschaftlich basiert arbeitender Fachleute in enger Zusammenarbeit mit den Bewohnern der Immobilien unter Berücksichtigung der artspezifichen Schädlingsbiologie besteht Anlass zur Zuversicht für eine nachhaltige Problemlösung.
Die Übersehene Ameise ist in vieler Hinsicht anders als die bisher bekannten Ameisenarten. Sie profiiert von der Globalisierung
und vom Bedürfnis der Menschen nach exotischen Pflnzen. Viele Besonderheiten sind noch unbekannt, beispielsweise die
unterschiedliche Toleranz der Eier, Larven, Puppen, Arbeiterinnen und Geschlechtstiere für Kälte und/oder Feuchtigkeit.
Das bislang nördlichste Vorkommen der Vernachlässigten Ameise trat 2008 in Rostock auf. Ausgehend von einem Stadtpark erstreckte sich
das dortige Hauptnest über eine Fläche von 7 Hektar. Zwei kleinere Völker gibt es in einem Botanischen Garten in 1,5 km Entfernung. In der
Umgebung des Hauptnestes war L. neglectus die einzige Ameisenart. Generell werden andere Insektenarten verdrängt, lediglich Blattläuse
profitieren und vermehren sich.
Von: Bernhard Seifert [mailto:Bernhard.Seifert@senckenberg.de]
Gesendet: Freitag, 20. November 2009 20:18
An: ephaS@t-online.de
Betreff: Lasius neglectus
Hallo Frau Scholl,
die Lasius aus Fürth sind ganz eindeutige neglectus. Das ist erst der vierte (bekannt gewordene!) Fund aus Deutschland. Sicher gibt es aber schon Dutzende von Populationen.
Merkur hat geschrieben:Wenn man längere Zeit nichts über eine derartige Ameiseninvasion liest, bedeutet das jedenfalls nicht, dass sich das Problem von selbst erledigt hat! – Es ist bei den heutigen Medien leider so, dass ein Problem zunächst mal „thematisiert“, und dann nach kurzer Zeit wieder fallen gelassen wird. Die Medien entscheiden, was „Nachrichtenwert“ hat. Ob Tschernobyl, Fukushima, oder Linepithema am Mittelmeer: Die Probleme sind nicht gelöst, sie existieren weiter, auch wenn nichts oder nur noch wenig darüber berichtet wird.
Vermutlich wird L. neglectus mancherorts auf die übliche Weise „bekämpft“, ob nun unter diesem oder einem anderen (falschen) Namen. Die nächste Nachricht kommt bestimmt!
Merkur hat geschrieben:PS: Von 2014: http://www.deutschlandfunk.de/schaedlin ... _id=296865 Hier hofft man auf einen zur Bekämpfung geeigneten Pilz.
Bioinvasoren in Symbiose
Eingeschleppte Organismen können für etablierte Arten gefährlich sein. Mit einer Gartenameise und einem Pilz haben sich nun gleich zwei invasive Arten in Europa zusammengetan. Der Pilz wächst auf der Ameise, gibt ihr ein Igel-artiges Aussehen und schützt sie vor einem für heimische Arten tödlichen Keim. [...] / Quelle: http://sciencev2.orf.at/stories/1750256/
Merkur hat geschrieben:Der Beitrag in der Ostsee-Zeitung bezieht sich auf eine Diplomarbeit:
Jens Spiegelberg (2014): Ökologische Ansprüche und Dominanz der invasiven Ameisenart Lasius neglectus in Rostock. Diplomarbeit Uni Greifswald.
Leider ist die Arbeit anscheinend nicht online.
- Nur Dr. B. Seifert und ich können gemeint sein. Nein danke!Wissenschaft und Ameisenhaltung
Auch sind die bisherigen Erfahrungen mit dem Auftreten von Myrmekologen in den (deutschen) Foren alles andere als gut (um es noch positiv auszudrücken). Aber man darf und sollte hier bestimmt nicht verallgemeinern, weshalb zu hoffen bleibt, dass man es bislang mit dem menschlichen und charakterlichen Bodensatz der Myrmekologieszene zu tun hatte. (Allerdings zeigen meine bisherigen Erfahrungen mit Wissenschaftlern diverser Disziplinen, dass man Laien gegenüber für gewöhnlich extrem kritisch bis arrogant eingestellt ist.)
Merkur hat geschrieben:Man könnte das Grundstück großflächig mit einem Insektizid besprühen. Das wäre aber mehrfach im Jahr erforderlich, und neue Ameisen würden ständig aus der Nachbarschaft zuwandern bzw. im Sommer in Form junger Königinnen zufliegen. Eine nachhaltige Beseitigung ist nicht möglich.
In der Umwelt wird Permethrin vor allem durch Sonnenlicht zersetzt. Im Boden bindet es an Tonminerale und Humusbestandteile, seine Halbwertszeit beträgt hier etwa 30 Tage. Auf den Oberflächen von Pflanzen beträgt die Halbwertszeit etwa 10 Tage. Für Vögel ist Permethrin nur gering giftig, für Fische ist es hingegen stark toxisch. Im Laborversuch ist Permethrin für Bienen sehr giftig. Im Freiland meiden die Bienen Permethrin, da es auf sie abstoßend (das heißt als Repellent) wirkt. / Quelle: Wikipedia
Zitiert wird eine amerikanische Untersuchung, in der Ameisen auf Backpulver leben mussten bzw. nur mit Backpulver versetzten Honig bekamen.http://www.zeit.de/2009/19/Stimmts
Kathrin Grandke aus Berlin fragt: Stimmt es, dass Backpulver Ameisen tötet, weil sie es fressen und dann explodieren? (30. April 2009 / Quelle: DIE ZEIT, 30.04.2009 Nr. 19 )
Antwort: Als Ergebnis lässt sich festhalten: Erstens ist den Ameisen das Natron ziemlich egal, sie meiden es nicht, was ihnen dann zum Verhängnis wird. Denn zweitens ist die Substanz offenbar wirklich ein mildes Gift für Ameisen. Bei einer ausgestreuten Menge von vier Milligramm pro Quadratzentimeter war nach sechs Tagen die Hälfte der Insekten tot. Auch die mit Natron versetzte Zuckerlösung tötete einen großen Teil der Ameisen. Von einer spektakulären Aufblähung oder gar Explosion der Tiere kann allerdings keine Rede sein – sie sterben, weil das Natron den pH-Wert in ihrem Körper verändert.
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