Der Grünspecht als Ameisensammler im Winter

Der Grünspecht als Ameisensammler im Winter

Beitragvon Merkur » Montag 6. Februar 2017, 18:03

Am 3. Feb. 2017 beobachtete ich auf dem Rasen vor meiner Terrasse einen Grünspecht (Picus viridis), der heftig in den Boden hackte. „Von allen mitteleuropäischen Spechten ist der Grünspecht am meisten auf bodenbewohnende Ameisen spezialisiert. Diese fängt er in ihren Gängen mit seiner 10 Zentimeter langen Zunge (Wikipedia). Der Boden war gerade oberflächlich aufgetaut, aber ab ca. 6-10 cm Tiefe noch gefroren. Das Tier hatte dennoch Erfolg gehabt, wie wir gleich sehen werden.
Es ist also, auch angesichts der nicht entsprechend langen Zunge, sicher falsch, wenn immer wieder behauptet wird, dass “die Ameisen“ metertief im Boden überwintern.

Der Specht hinterließ ein für Spechte typisches gekrümmtes Kotwürstchen:

1-Spechtkot-7221w.jpg
Bild 1: Spechtkot
Die weiße Hülle enthält Harnsäure, das Exkretionsprodukt von Vögeln; an dem braunen Ende sind bereits Chitinreste zu erkennen.

Da ich das „Fundstück“ eindeutig zuordnen konnte, war es eine Gelegenheit, mal zu untersuchen, was er denn wohl so verspeist haben könnte. – Sicher waren es noch nicht die Reste von Ameisen aus meinem Garten, aber wohl doch aus der näheren Umgebung.

2-Spechtkot-Inh.7222.jpg
Bild 2: Kot geöffnet
In etwas Wasser wurde der Kot unter dem Binokular aufgezupft. Es quollen Tausende von Chitinteilen hervor.


3-SPK-Inh_7228w.jpg
Bild 3: Der Inhalt in Wasser aufgeschlämmt
Ein Teil der im Wasser ausgebreiteten Masse bei geringer Vergrößerung. Daraus habe ich erkennbare Bauteile von Ameisen
herausgefischt und zu identifizieren versucht.


4-SPK,div,Flüg,Thorw.jpg
Bild 4: "Bauteile" von Ameisen
Am auffälligsten waren Köpfe von Ameisen, während fast alle anderen Körperteile in ihre einzelnen Elemente zerfallen waren, Chitinplatten von der Gaster, Teile von Beinen und Antennen, Stücke von Thoraces, einzelne Petioli und Mandibeln, und ein paar Flügelstücke. Im Bild #1 war das größte noch zusammenhängende Teil, eine Lasius cf. flavus. #2 ist der Thorax einer Myrmica cf. rubra – Arbeiterin; #3: ein Flügel; #4: der Kopf einer Lasius cf. niger (Clypeus rechts, Komplexaugen oben und unten); #5: zwei Köpfe von Lasius cf. flavus (am rechten Exemplar ist gut zu erkennen, dass die inneren Zähne nicht etwas zurückgesetzt sind, es somit keine der pasrasitischen Chthonolasius-Arten sein kann).


5-SPK,Sfug-Arb-u.a.w.jpg
Bild 5: Köpfe verschiedener Arten
Zwei Köpfe von Lasius cf. flavus, einer von Myrmica cf. rubra, und oben der winzige Kopf einer Solenopsis fugax – Arbeiterin
(Kopfbreite 0.44 mm), kenntlich an der nur dreizähnigen Mandibel.


6-SPK-SfugWW.jpg
Bild 6: Köpfe von S. fugax-Gynen
Für mich etwas rätselhaft waren die recht zahlreichen Köpfe mit drei- bis vierzähnigen Mandibeln,
mit je drei Ocellen, und mit zwei kleinen Spitzchen vorn am Clypeus (s. Pfeil).

Hier sind nur sieben von geschätzt 15 bis 20 Stück dargestellt! – Es handelt sich um Gynen von Solenopsis fugax! Dazu passen auch ein paar Köpfchen von Arbeiterinnen (eines in Bild 5), und die Aderung des Flügels in Bild 4 spricht ebenfalls nicht dagegen. Die Kopfbreite von 0.9 mm entspricht exakt der von vergleichsweise gemessenen Tieren aus meiner Sammlung).
Doch Solenopsis fugax schwärmt im Herbst; die Geschlechtstiere überwintern nicht im Nest. So bleibt als vorsichtige Deutung, dass der Specht ein Nest geöffnet hat, in dem sich noch Anfang Februar geflügelte Gynen befanden, die vielleicht im Herbst nicht mehr rechtzeitig schwärmen konnten. Ob so etwas schon mal beobachtet wurde (@ Boro!)?

Insgesamt hatte dieser Specht in wohl kurzem Abstand Bodennester von mindestens vier Arten aus drei Gattungen weit verbreiteter und häufiger Arten geplündert (Lasius cf. flavus, Lasius cf. niger, Myrmica cf. rubra, Solenopsis fugax). Für einen kalten Tag im Winter ist das keine schlechte Ausbeute! :D
Mengenmäßig waren die Köpfe von L. cf. flavus die häufigsten, gefolgt von ebenfalls zahlreichen L. cf. niger. Von der Myrmica-Art fand ich nur Reste von zwei oder drei Exemplaren. Auch S. fugax-Arbeiterinnen waren nur in sehr kleiner Zahl vorhanden, was angesichts der doch vielen Gynen dieser Art verwundert.

Der Specht darf mich gerne im Sommer nochmals beehren; dann mache ich mir auch die Mühe einer vergleichenden Untersuchung seines Nahrungsspektrums! :)

MfG,
Merkur
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Re: Der Grünspecht als Ameisensammler im Winter

Beitragvon Reber » Montag 6. Februar 2017, 22:16

Danke für den Beitrag Merkur, ich will ihn gerne noch mit einer aktuellen Beobachtung ergänzen: Auch Honigbienen (Apis mellifera) stehen auf dem Speiseplan des Grünspechts.

Im vergangenen Herbst ist mir aufgefallen, dass bei zwei meiner Bienenbeuten wiederholt die Fluglochverschlusskeile entfernt wurden. Sie lagen jeweils direkt vor den Kästen am Boden. Anfangs konnte ich mir das nicht erklären, bis ich bei einem Besuch einen Grünspecht wegfliegen sah...

Ob der Vogel mit seiner Zunge bis zur Wintertraube gelangen konnte? Gut möglich, denn die Bienen sitzen gerne im vorderen Teil.

Weiteren Schaden hat er aber offenbar nicht angerichtet - bis am 2. Februar, ein Tag nach dem die Temperaturen stiegen und die Bienen Reinigungsflüge unternahmen. Vom einem Tag auf den anderen konnte ich ein Loch mit ca. 1,5 cm Durchmesser auf der Rückseite einer neuen Beute entdecken. Es konnte nur von einem Specht stammen!
Wieso er ausgerechnet dann zugeschlagen hat, als die Temperaturen steigen und die Bienen sich im Stock ausdehnen bzw. sogar wieder fliegen, entzieht sich meiner Kenntnis.
Specht Bienenbeute1.JPG
Specht Bienenbeute.JPG


Edit zu Merkurs Bewertungsbemerkung: Es kann auch ein Buntspecht (oder sonst ein Specht) gewesen sein. Der Täter wurde nicht auf frischer Tat ertappt. :D

Typische Spechtschäden im Winter sind auch die recht grosse Löcher in den Hügeln unserer Waldameisen:
Waldameisenhaufen mit Spechtschäden.JPG
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Re: Der Grünspecht als Ameisensammler im Winter

Beitragvon Boro » Dienstag 7. Februar 2017, 06:46

Sehr interessante Beobachtungen! Zu den Funden der Solenopsis-Gynen im Kot des Spechtes kann ich leider keine eigenen Beobachtungen anfügen. Ich werde aber in Zukunft bei meinen Nestern im Garten darauf achten, bisher konnte ich in Frühlingsnestern (etwa im April) keine Geschlechtstiere finden. SEIFERT schreibt aber auf S. 217: "Alate manchmal im Nest überwinternd"; vermutlich werden über den Winter im Nest verbliebene Geschlechtstiere mit dem Beginn der Aktivitätsperiode entsorgt.

L.G.
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Re: Der Grünspecht als Ameisensammler im Winter

Beitragvon Trailandstreet » Dienstag 7. Februar 2017, 08:29

Eine interessante Beobachtung und vielen Dank hier noch mal an Boro, dass er sich hier so viel Mühe gegeben hat, mit seiner forensischen Tätigkeit.
Einerseits wundert es mich gar nicht mal, dass so ein Specht bei seiner Nahrungsbeschaffung im Winter so erfolgreich sein muss. Man hat ja schließlich auch einen höheren Verbrauch in der kalten Jahreszeit.
Andererseits sagt das aber auch, wie es Boro schon kurz angesprochen hat, viel über das Überwinterungsverhalten unserer Ameisen aus. Sie sitzen also wohl großteils weniger als 20cm tief unter der Erdoberfläche und halten dort mehr oder minder die Temperaturen einfach aus. Die Gynen dürften wohl aber schon in einem für den Specht unerreichbaren Kern, etwas tiefer überwintern.
Auf dieser Seite habe ich noch schnell ein kleines Bild dazu gefunden, wie lange in etwa die Zunge des Spechtes ist, damit man einen ungefähren Überblick hat, wie weit er damit ins Nest eindringen kann.
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Re: Der Grünspecht als Ameisensammler im Winter

Beitragvon Merkur » Dienstag 7. Februar 2017, 15:24

Anmerkungen zur bisherigen Diskussion:

Boro wies darauf hin, dass laut Seifert (2007, S. 217) bei Solenopsis fugaxAlate manchmal im Nest überwintern“. Seifert zitiert für die gesamte Lebensweise der Art drei Arbeiten: Zehm, A. (2000) über das Schwarmverhalten; Hölldobler, B.(1965, Neue Mitteilungen über die Diebsameise…), doch ist diese Arbeit von Karl Hölldobler, dem Vater von Bert H., und sie enthält nichts zur Überwinterung geflügelter S. fugax; Hölldobler, B. (1973) über die Chemische Strategie zum Nahrungserwerb … Auch hier findet sich nicht die gesuchte Quelle.
Im Stitz, H. (1939, Ameisen oder Formicidae, S. 139) wird man fündig: „Nach Gösswald kommt es vor,… dass Weibchen und Männchen noch im folgenden Jahr (im Nest) angetroffen werden, wie er im Mai in manchen Nestern bis zu 80 geflügelte Weibchen fand.“
Leider zitiert Stitz nur „Gösswald“ ohne Jahresangabe, doch dürfte sich die Angabe in dessen Dissertation finden: Gößwald, K.(1932: Ökologische Studien über die Ameisenfauna des mittleren Maingebietes. - Z. wiss. Zool. 144, 1-156. Mir ist die Arbeit im Moment nicht greifbar (verlegt?).
Immerhin steht so die Deutung meiner koprologischen "Entdeckung" nicht allein da! :D

Zusatz 1: Im AF hatte ich bereits einmal ein ähnliches Bild gepostet, im Zusammenhang mit einem Rätsel von "jkiefer", wo es um so eine „Spechtswurst“ vom Schwarzspecht ging. Der bevorzugt Waldameisen, und entsprechend findet man darin zahlreiche Reste von Formica s. str.. Ein Schwarzspecht hat wohl auch die Löcher im Ameisenhügel von Reber auf dem Gewissen.

Mein damaliges Bild:
Spechtkot-web-15.11.04-002.jpg
Spechtkot vom 15. Nov. 2004
Die Spechtswurst, ebenfalls vom Grün- oder Grauspecht, enthielt seinerzeit vor allem Reste von Lasius niger. Ansonsten traf die Pfälzische Volksweisheit zu: „Die Seele einer Frau - der Magen einer Sau - der Inhalt einer Worscht - bleibt ewig unerforscht.“ - Na gut, ein wenig erforscht habe ich ja nun die „neue“ Spechtswurst. :D

Zusatz 2: @ Reber: Wie hoch etwa über dem Erdbden steht der Bienenkasten mit dem Spechteinschlag? Könnte es sein, dass der Specht da versucht hat, eine Bruthöhle anzulegen? - Es dürfte hohl klingen, wenn er da draufhämmert, ähnlich wie bei einem hohlen Baum. Die "Erdspechte" sollen ja selten an Bäumen nach Nahrung suchen.
Bei mir schlug ein Mittelspecht (beobachtet) ein ähnliches Loch in einen Holzklotzin ca. 1,5 m über dem Boden, worin die Holzbiene Xylocopa violacea nistete. Er hat recht unsauber gearbeitet: Mehrere dicke Larven und Puppen lagen danach zwischen den Holzspänen am Boden!

MfG,
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Re: Der Grünspecht als Ameisensammler im Winter

Beitragvon Reber » Dienstag 7. Februar 2017, 21:15

Hallo Merkur,
die Kästen stehen unterkant etwa 40-50 cm ab Boden. Also doch etwas höher. Den Täter bzw. die Art, die das Loch geschlagen hat, habe ich wie gesagt nicht gesehen. Nur einmal einen Grünspecht wegfliegen. Ob der aber am Kasten war, oder am Boden davor z.B. tote Bienen oder gar Ameisen gesucht hat, kann ich nicht sagen.

Es gibt in der Gegend mindestens drei Spechtarten, die in Frage kommen: Buntspechte (Dendrocopos major) sehe ich häufig. Grünspechte (Picus viridis) regelmässig. Schwarzspechte (Dryocopos martius) sehr selten.

Grünspechte gehen offenbar vorallem dann an Bienenkästen, wenn diese sehr nahe am Boden stehen, sind aber durchaus in der Lage Beutenwände zu durchbohren: http://www.bienen.tv/node/108
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