Der immergrüne Mistelwald von Oberklingen

Der immergrüne Mistelwald von Oberklingen

Beitragvon Merkur » Dienstag 14. März 2017, 16:53

Man ist überrascht, wenn man in Südhessen, am Rand des Odenwaldes, jetzt Mitte März auf einen Bestand von
Laubbäumen trifft, die nicht winterkahl dastehen, sondern dicht mit grünen Blättern besetzt sind. Es sind keine Exoten, sondern
hier vor allem Apfelbäume, an Wuchs und Borke erkennbar, die eine solche unzeitgemäße Belaubung aufweisen.

1-Mistelwald_7335.jpg
Am Waldrand
Eine Allee dicht belaubter Apfelbäume.
2-Mistelwald_7337.jpg
Im Inneren des Bestandes
Man kommt sich wie in einem Laubwald vor.
3-Mistelwald4-Otzbg._7338.jpg
In der Ferne...
..grüßt der Otzberg, eine Vulkanruine mit einer weithin sichtbaren Burg.

Es ist eines der größten Mistelanbaugebiete Deutschlands! Die grüne Pracht rührt von einem sehr starken Besatz mit der
Halbschmarotzer-Pflanze Viscum album her, der Weißbeerigen Mistel. Sie dient verschiedenen Verwendungszwecken.

4-Mistelwald3-Ernte_7334.jpg
Mistelernte
So wurden hier Mistelzweige für die Weihnachtszeit geerntet.
5-Mistelwald7-volle-Ernte_734.jpg
Erntereif!
Auch dieser Apfelbaum trägt eine volle Ernte, wenngleich keine Äpfel.
6-Mistelwald5-auf-Ast_7339.jpg
Misteln auf bemoostem Ast
In der Nahaufnahme sieht man, wie der Epiphyt auf den Ästen aufsitzt.
7-Mistelwald-Blüten_7336.jpg
Mistel in Blüte
Manche der Pflanzen stehen in voller Blüte. Die gelblichen Blütchen werden vor allem von Fliegen bestäubt.
8- Mistelwald6-Beeren_7340.jpg
Reich tragende Mistel
Andere Pflanzen tragen gleichzeitig die weißlichen Beeren. Auf den zur Weihnachtszeit angebotenen Zweigen wirken sie besonders dekorativ.
9-Mistelwald-Beeren-gr_7340a.jpg
Die Beeren sehen ganz appetitlich aus
Aber ihr Inhalt ist zäh-klebrig. Er wurde und wird zur Herstellung von Vogelleim verwendet.

Ja, und damit dieser Beitrag nicht zum unzeitgemäßen Aprilscherz wird (es ist ja noch nicht 1. April!), kehren wir zurück in die Realität:
Es handelt sich um seit vielen Jahren stark vernachlässigte Streuobstwiesen, auf denen sich die Mistel maßlos ausgebreitet hat!
Die Beeren werden von Drosseln und gerne auch von der Mönchsgrasmücke verzehrt. Dank des klebrigen Inhalts bleiben Samen am
Schnabel hängen und werden von den Vögeln an Ästen und Zweigen abgestreift, wo sie kleben bleiben und keimen. Aber auch Samen,
die den Verdauungstrakt der Vögel passiert haben, können auf einem Ast landen und dann ebenfalls austreiben.
Der Keimling entwickelt ein Saugorgan (Haustorium), das sich in Borke und Holz einsenkt und dort weiter auswächst. Diese Wurzel nimmt
Wasser und Salze aus den Leitbahnen des Baumes auf, wodurch die Äste keine Früchte mehr entwickeln und schließlich absterben. Dank des
Chlorophylls in den Mistelblättern und auch den Stängeln betreibt die Mistel Photosynthese, ist demzufolge nur ein sog. Halbschmarotzer.

Wikipedia weiß noch sehr viel mehr über die Arten und Unterarten der Mistel. Für den Obstanbauer ist sie natürlich ein Schädling, den
man nur durch konsequentes Absägen der befallenen Äste im Zaum halten kann. Doch das ist schwierig, denn verbliebene Teile der
Haustorien treiben wieder nach. Und solange in der Nähe befallene Bäume stehen, werden die von Misteln befreiten immer wieder mit
neuen Samen infiziert. – Es ist verständlich, dass man in dem oben genannten Gebiet den Apfelanbau praktisch aufgegeben hat!

Die Bäume entwickeln Astlöcher, die sicher vielen höhlenbrütenden Vögeln helfen. Welche Ameisen in so einem Bestand mit viel
Totholz leben, kann ich nicht sagen. Zu sehen war nichts, es war noch zu kalt! - Ich kenne Misteln von verschiedensten Orten, aber
noch nirgends habe ich einen derart dichten Befall gesehen, der tatsächlich den Eindruck eines wintergrünen Laubwaldes hervorruft!
MfG,
Merkur
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