Myrmecina graminicola

Myrmecina graminicola

Beitragvon Boro » Mittwoch 20. August 2014, 20:42

Gestern konnte ich durch Zufall in meinem Steingarten das Schwärmen v. Myrmecina graminicola beobachten! Eine wenig bekannte Art, die ich bereits im vorigen Jahr an einer anderen Stelle sehen konnte - es gibt offenbar mindestens 2 Nester. Die Art ist unscheinbar und kaum jemals zu sehen, ich vermute, dass sie vor allem nachtaktiv ist. Die Kolonien umfassen nur ein paar Dutzend Tiere. Die Individuen sind nicht aggressiv und stellen sich bei Gefahr tot.
Die Königinnen sind polymorph, es gibt Übergänge von arbeiterinnenähnlichen Morphen ohne Flügel bis zu geflügelten Vollweibchen.
Arbeiterinnen u. Gynen bewegen sich sehr langsam, die geflügelten Männchen dagegen sind gut flugfähig und während der Paarungszeit geradezu liebestoll: Sie fliegen auf und nieder, laufen auf Gräsern mit schwirrenden Flügeln auf und ab und haben nur ein Ziel: Die Begattung eines Weibchens. Dabei kommt es sicher häufig zu multiplen Begattungen, wenn ein Weibchen an die Oberfläche kommt. Die Weibchen setzen ein lange wirksames Tröpfchen Sexualpheromon ab, welches die Männchen augenblicklich anlockt.
Im alten AF hatte ich schon berichtet, dass dieses Sexualpheromon, das im vorigen Jahr von flugfähigen Weibchen an den Blättern eines Kirschlorbeers abgesetzt wurde, durch 48 Stunden seine Wirkung nicht ganz verloren hatte: Ohne Hintergedanken wurden etliche Triebe der Pflanze abgeschnitten und in die Biotonne gegeben. Als ich am nächsten Tag die am selben Ort befindliche Tonne wieder öffnete, waren rasch zahlreich Männchen zur Stelle, die auf die Blätter in die Mülltonne flogen; das gleiche Spektakel erlebte ich am übernächsten Tag in abgeschwächter Form!
Das Schwärmen fand um 16:00 statt. Es war bewölkt und hatte 22°C.

Diese schwarz-glänzenden Tiere sind schwer zu fotografieren, die Bilder daher nur von mäßiger Qualität!
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IMG_9255.JPG
Intermorphe, die ich auf einem Grashalm gleichzeitig mit 3 liebestollen Männchen fangen konnte
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Aus anderem Blickwinkel. Zumindest auf der rechten Thoraxseite erkennt man eine Ausbuchtung vor der (planmäßigen) Flügelinsertion
IMG_9263.JPG
Eine verendetes Männchen in der Beobachtungsbox
DSC03057.JPG
Ein intermorphes Weibchen "flüchtet" aus einem Knäuel liebestoller Männchen
DSC03074.JPG
Das Weibchen ist weg, etliche Männchen balgen sich im Bereich des Sexuallockstoffes; sie spielen total verrückt, jedes Männchen vermutet in anderen Männchen einen weiblichen Sexualpartner!
DSC03093.JPG
Ein völlig erschöpftes Männchen nach minutenlangem Gerangel....
Boro
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Re: Myrmecina graminicola

Beitragvon Merkur » Donnerstag 21. August 2014, 19:53

Vielen Dank, Boro, für diesen wie immer sehr interessanten Bericht!
Ich will noch ein paar Hinweise anfügen; hatte mich ja sehr lange mit Myrmecina graminicola befasst.

Wie „verrückt“ die Männchen sich aufführen, wenn sie mit dem Sexpheromon (es stammt aus der Giftdrüse!) in Berührung kommen, zeigt hier bereits der Titel:
Buschinger, A. (2001): Für Arbeiterinnen tödliche Paarungen bei der Ameise Myrmecina graminicola (Hymenoptera: Formicidae). BembiX 14, 29-32.
In dem "wilden" Treiben kam es mehrfach zu Verhängungen,an deren Ende die Arbeiterinnen tot waren. Ein verhängtes Paar wurde in Alkohol konserviert:
Myrmecina ArbPaarung.jpg
Männchen und Arbeiterin in Verhängung

Das merkwürdige Phänomen, dass Gynomorphe nur in monogynen Völkern leben, während alle Übergangsformen (Intermorphe) auch polygyn sein können:
Buschinger, A. (2001): Myrmecina graminicola, eine versteckt lebende Ameise mit ungewöhnlichen Eigenschaften. Ameisenschutz aktuell 15, 1 – 19.
Sowie hier:
Buschinger, A., Schreiber, M. (2002): Queen polymorphism and queen-morph related facultative polygyny in the ant, Myrmecina graminicola (Hymenoptera, Formicidae). Insectes soc. 49, 344-353.

Der züchtungs-experimentell geführte Nachweis der genetischen Grundlage für die Königinnenmorphen findet sich in dieser (leider schwer zugänglichen) Arbeit:
Buschinger, A. (2005): Experimental Evidence for Genetically Mediated Queen Polymorphism in the Ant species Myrmecina graminicola (Hymenoptera: Formicidae). Entomol Gener 27: 185-200.

Das seinerzeit neu entdeckte Umzugsverhalten ist hier beschrieben:
Buschinger, A. (2010): Nest relocation in the ant Myrmecina graminicola (Hymenoptera: Formicidae). - Myrmecol. News 13: 147-149. http://myrmecologicalnews.org/cms/index ... ut=default
Der entsprechende Thread im AF zum Nestumzugsverhalten enthält leider keine Bilder mehr: http://www.ameisenforum.de/ameisenforum ... miere.html

MfG,
Merkur
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Re: Myrmecina graminicola

Beitragvon Merkur » Freitag 22. August 2014, 11:12

Hier habe ich noch zwei Intermorphe von Myrmecina graminicola beim "Locksterzeln" im Labornest, auf der roten Abdeckfolie.
Sie stehen stundenlang,mit leicht angehobener Gaster und (schwer sichtbar) etwas ausgefahrenem Stachel.
Gelegentlich ruckeln sie ein wenig und tupfen mit der Gaster auf das Substrat, wobei wohl Sexpheromon aufgetragen wird.
MgIsterz 2 I-W.jpg
Intermorphe von Myrmecina graminicola beim Locksterzeln
Wenn ich Gynomorphe oder Intermorphe in dieser Haltung beobachtete, konnte ich Männchen des gewünschten Genotyps zusetzen, und meist erfolgte dann rasch die Paarung.
Dann galt es, den Nachwuchs der Tiere aufzuziehen, was eine sehr langsame Sache ist! So dauerte der Nachweis der genetischen Grundlage für den Königinnen-Polymorphismus auch fünf Jahre. :(

Begattete Weibchen sterzelten allerdings nach einer erfolgreichen Verhängung nicht mehr. Mehrfachpaarungen möchte ich daher ausschließen.

MfG,
Merkur
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Re: Myrmecina graminicola

Beitragvon Boro » Freitag 22. August 2014, 13:44

Dank an Merkur für die Bilder u. Ausführungen! Unwahrscheinlich welche intereressante Biologie hinter einer eher unscheinbaren u. weithin unbekannten Art steckt.
Die Beobachtung des "Locksterzelns" wird man in der Natur mit freiem Auge kaum machen können. Die zwei folgenden (leider ebenfalls schlechten Bilder) zeigen in richtiger Reihenfolge das "Entfleuchen" der Gyne aus dem Knäuel an Ameisenleibern und danach das Aufreiten eines aus dem Knäuel gelösten weiteren Männchens. Ob es da noch einmal zur Begattung kommt, kann ich nicht sagen, andererseits halte ich es für durchaus möglich, dass bei den zahlreichen liebestollen Männchen nicht nur eines "trifft"!
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DSC03059.JPG
Das Weibchen hat sich aus dem Knäuel liebestoller Männchen gelöst, vermutlich ist sie bereits begattet
DSC03065.JPG
Eines der zahlreichen Männchen hat sich aus dem Knäuel gelöst und reitet noch einmal auf die Gyne auf!
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Re: Myrmecina graminicola

Beitragvon Boro » Dienstag 9. September 2014, 17:21

Noch rasch 2 Bilder dieser Art von Sohn Roman.
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IMG_7242.JPG
Auf nassem Holz (das am Boden liegend aufgebrochen wurde) unterwegs
IMG_7244.JPG
Vor allem die Anatomie des Petiolus ist bei dieser Art ungewöhnlich! Auch bei den Männchen gleicht der Petiolus eher einem rechteckigen Gebilde.
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