Ameisen überstehen Überschwemmungen - aber wie?

Ameisen überstehen Überschwemmungen - aber wie?

Beitragvon Reber » Sonntag 31. August 2014, 21:29

Bereits im Juli hatte ich kurz darüber berichtet, mit was für Extremsituationen Ameisen, die nahe an natürlichen Flussläufen leben, zurecht kommen müssen: viewtopic.php?f=50&t=79&p=3557&hilit=hochwasser#p3509

Wir hatten, was das Wetter betraf, wirklich keinen schönen Sommer im Kanton. Häufiger Niederschlag liess allenorts die Flüsse über die Ufer treten – mit zum Teil erheblichen Schäden für Landwirtschaft und Anwohner.
Beim Sodbach sind solche Schäden ausgeblieben, das Wasser hat dort viel Platz. Aber natürlich hat der Bach sein Bett trotzdem verlassen und zwar wiederholt und für mehrere Tage. So dass ich mir dann doch etwas Sorgen um die Ameisen machte.

In der ganzen Umgebung zeugen aufgeschwemmter Sand, herumliegendes Schwemmholz, in eine Richtung „gekämmtes“ Gras und aufgeplatze Böden von den Wassermassen, die hier unlängst durchgeflossen sind. An den Rückständen, die an Bäumen und Büschen hängen geblieben sind, lässt sich der Wasserstand abschätzen: Bis zu 40 cm hoch sind die Wassermassen über manchen Ameisennestern geflossen!
Schwemmholz.JPG
Hängengebliebenes Schwemmmaterial zeigt wie hoch das Wasser stand.JPG
Gesprungener Lehmboden..JPG


Ich war dann doch erleichtert - aber auch verwundert, über den Betrieb, den die Ameisen bei meinem letzten Besuchen an den Tag legten: Mindestens zwei unterschiedliche Myrmica-Arten (eine mit ca. 4 mm langen Arbeiterinnen, die andere erreichen ca. 6 mm) haben lange Strassen errichtet. Von beiden Arten sind Gynen zu sehen. Manica rubida fouragieren einzeln aber massenhaft und (mindestens) eine Serviformica Art – wahrscheinlich aus der cinerea-Gruppe besetzt ihre Gebiete sehr dicht. Als wäre nichts geesen.

Dass die Ameisen während der Dauer der Überflutung weggezogen sein könnten (wohin?), schliesse ich aus. Die Neststandorte sind genau die gleichen wie vor dem Hochwasser. Neugegründete Nester kann ich ebenfalls ausschliessen, die Kolonien sind viel zu gross.
Wie die Ameisen die Überflutung überstehen, ist mir ein Rätsel – aber sie tun es!

Von Lasius-Arten finde ich zwar kein einziges Nest in Flussnähe, aber unterschiedlichste Lasius-Gynen (mindestends drei Arten: L. cf. niger, L. cf. umbratus und eine L. sp. mit gelber Unterseite) suchen nach Nistplätzen. Diese Gynen können allerdings von höhergelegenen Standorten stammen.
Lasius sp. gelb.JPG
Lasius cf niger Gyne.JPG
Männchen.JPG


Das schlechte Wetter (und die Überflutung?) haben dazu gehführt, dass mindestens 5 Arten am gleichen Tag schwärmen. Überall huschen Gynen herum, viele fallen den fouragierenden Ameisen zum Opfer, den gelandeten Männchen geht es noch schlechter.
Formica (Serviformica) erbeutet Lasius Gyne.JPG
Manica mit Beute.JPG
Männchen und Arbeiterin.JPG
Formica (serviformica) sp erbeutet Männchen.JPG


Was erstaunt ist, dass bei dieser dichte der verschiedenen Ameisenarten nur sehr vereinzelt Kämpfe stattfinden. Eigentliche Kriege zwischen Kolonien oder Terretorien die nur von einer Art beansprucht werden, entdecke ich keine. Sogar die sonst aggressiven Völker aus der cinerea-Gruppe
lassen andere Ameisen zum Teil ungehindert in unmittelbarer Nestnähe fouragieren.
Manica und Myrmica.JPG
Manica und Myrmica2.JPG
Formica erwischen Manica.JPG
Manica vs Myrmica.JPG

Unter einem Stein befindet sich ganz offensichtlich ein Nest einer Formica sp. Auf dem Stein patroulliert aber dauernd ein halbes bis ein ganzes Dutzend der kleinen Myrmica sp. Diese bleiben von den Formica natürlich nicht unbemerkt, aber sie werden nicht angegriffen, weil sie sich – ähnlich wie Temnothorax-Arten sofort „unterwürfig“ an den Boden drücken, daraufhin lassen die Formica ab und gehen weiter. Ein einziges mal kann ich soagar beobachten, wie eine Formica die Myrmica packt und sie 50 cm weit vom Nest unverletzt wieder absetzt! Sorry wegen der schlechten Bilder, aber besser hab ichs nicht hinbekommen.
Formica mit kleiner Myrmica.JPG
Formica zieht weiter.JPG
Formica transportiert Myrmica1.JPG
Formica transportiert Myrmica.JPG
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Re: Ameisen überstehen Überschwemmungen - aber wie?

Beitragvon Boro » Montag 1. September 2014, 08:56

Hallo Reber!
Danke für den Interessanten Bericht!
Es gibt Ameisenarten, deren primäre Wohnhabitate Fluss- u. Seenufer, Sand-, Kies- u. Schotterbänke von (naturbelassenen) Fließgewässern sind. Dazu gehören die 3 cinerea-Arten, wobei F. selysi die engste Affinität zu ufernahen Räumen (Überschwemmungsgebieten) aufweist, die beiden anderen Arten F. cinerea und F. fuscocinerea finden auch Ausweichquartiere, F. fuscocinerea vor allem in den versiegelten Bereichen unserer urbanen Gebiete.
Bei Myrmica ist es vor allem Myrmica constricta (früher hellenica !!), die offenbar überhaupt nur in ufernahen u. überschwemmungsgefährdeten Arealen vorkommt. In diesem Fall spricht man von einer hohen Überflutungstoleranz der Arten, in erster Linie bei M. constricta und F. selysi. Es gibt sogar die Vermutung, dass diese Arten Überschwemmungsgebiete "bewusst" als Lebensraum nutzen, d. h., dass die Gynen anlässlich des Ausbreitungsfluges solche Biotope ansteuern. Zu den ripikolen Arten zählt man auch Manica rubida, die aber auch andere offene Habitate bis ins Hochgebirge besiedelt.
Ich gehe davon aus, dass bei Überschwemmungen zuerst die Nesteingänge mit Lehm "verschüttet" werden und die Tiere dann in der Tiefe ausharren, ein wenig Sauerstoff wird übrig bleiben, sie brauchen nur sehr wenig davon. Soche Lebensräume erscheinen auf den ersten Blick unwirtlich, haben den Vorteil von ökologischen Nischen, die nur von wenigen (konkurrierenden) Ameisenarten besiedelt werden.

Lasius-Arten gehören nicht zu den unmittelbaren Uferbewohnern, die schwärmenden Gynen (Lasius cf. flavus auf Bild 4, 5, 7) stammen aus der Umgebung. Die Serviformica-Arten im Beobachtungsgebiet sind wohl aus der cinerea-Gruppe, ich vermute wegen vorkommender rötlicher Pigmenteinmischungen am Thorax F. fuscocinerea od. F. cinerea. F. selysi ist ziemlich selten u. weist keine rötlichen Pigmenteinmischungen auf, sie könnten aber in deinem Gebiet vorkommen. viewtopic.php?f=48&t=488, viewtopic.php?f=48&t=237
Bei uns kommen alle 3 Arten vor (F. fuscocinerea mit Abstand am häufigsten), ich weiß nicht, wie die Verhältnisse in der CH liegen. Alle 3 sind aggressiv u. territorial und bilden bei günstigen Voraussetzungen Superkolonien aus.

F. fuscocinerea ist bei uns "Feind Nr. 1" von M. rubida u. drängt diese Art in den Augebieten wie auch im Stadtbereich zurück.
M. rubida "kooperiert" zumindest mit M. constricta, sofern sie im gleichen Lebensraum existieren: viewtopic.php?f=48&t=503. Den Serviformica-Arten gegenüber verhalten sich einige Myrmica-Arten total devot, das senkt die Aggressionsbereitschaft bei potentiellen Feinden.
L.G.
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Re: Ameisen überstehen Überschwemmungen - aber wie?

Beitragvon Trailandstreet » Montag 1. September 2014, 09:30

Ich habe zwei Myrmica cf rubra Kolonien aus einem Gebiet, das nahe des Inns, das letztes Jahr von dem großen Hochwasser heimgesucht wurde. In diesem Bereich liegen auch einige Kiesweiher. Das Gelände dürfte dort teilweise 1 bis 1,5m unter Wasser gestanden haben.
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Re: Ameisen überstehen Überschwemmungen - aber wie?

Beitragvon Reber » Montag 1. September 2014, 14:50

Hallo Boro,
vielen Dank für deine Ausführungen! Verwunderlich war für mich, dass die Gänge der Ameisen nicht einfach mit Wasser volllaufen, aber deine Theorie mit dem Verschütten der Nesteingänge klingt plausibel, gerade wenn man bedenkt, was für Massen an Schlamm und Sand bei Hochwasser mitgeschwemmt werden. Und vielleicht legen die Tiere „evolutionär“ geprägt sogar spezielle Eingänge dafür an?

Bei der Formica sp. handelt es sich vermutlich am ehesten um F. cinerea selber, möglich wäre wohl auch Formica selysi aber Formica fuscocinerea sollte so weit westlich nicht mehr vorkommen.

Die kleine Myrmica könnte tatsächlich Myrmica constricta sein (danke auch für den Hinweis wegen der Umgruppierung, das hab ich irgendwie verpasst!). Verhalten und Habitat passen jedenfalls perfekt. Ich wusste zwar, dass die Knotenameisen untereinander kooperieren können (obwohl sich die grosse Myrmica und Manica auch oft ins Gehege kommen). Bei den beiden Myrmica-Arten habe ich Artübergreifend keine Kämpfe festgestellt. Ab und zu kommen sich auch Ameisen der gleichen Art aus unterschiedlichen Kolonien in die Quere.
Für mich neu war, dass das unterwürfige Verhalten auch Formica dermaßen besänftigen kann. Aber im Seifert steht sogar, dass Myrmica constricta das Verhalten auch bei Lasius spp. erfolgreich anwenden kann.

Die Formica verhalten sich Manica rubida und der grossen Myrmica sp. Gegenüber mitunter aggressiv. In früheren Jaheren konnte ich regelrechte Kriege beobachten. Die Formica sind vor allem den einzeln fouragierenden Ameisen überlegen, da sie gemeinsam und koordiniert vorgehen.

Möglicherweise bildet Myrmica sp. deswegen häufig Strassen in der Gegend? Die Knotenameisen können sich aber im betreffenden Gebiet trotzdem gut halten.
Es gibt Flussufer in Heitenried, da besetzt Manica rubida auf mehrerer 100 Metern Nest an Nest (Superkolonie?) das ganze Flussufer – als mehr oder weniger einzige Art.
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Re: Ameisen überstehen Überschwemmungen - aber wie?

Beitragvon Boro » Dienstag 2. September 2014, 08:34

Über die Möglichkeit von polydomen, oligogynen u. polygynen Systemen wurde bereits hier diskutiert: viewtopic.php?f=48&t=503
SEIFERT spricht von polydomen Nestern sowie von oligogynen Koloniesystemen mit separierten Königinnen, wobei der unterschiedliche Kolonieduft durch " permanenten Austausch von Postpharyngealdrüsensekret" während ständigen Kontakts von Arbeiterinnen benachbarter Nester homogenisiert wird (S. 193).
Das könnte zu meinen Beobachtungen passen: Hin und wieder wird über Stunden eifrig Brut zwischen Nestern hin- und hergetragen, wobei man sich die Frage nach dem "Sinn" dieser Vorgangsweise stellt. Außerdem ist die Interaktion zwischen den Arbeiterinnen benachbarter Nester nicht immer ganz konfliktfrei: Ab und zu wird eine Arbeiterin etwas unsanft gezogen oder vor dem Nesteingang abgewiesen, vor allem gegen Geschlechtstiere richten sich die "Unfreundlichkeiten"!

Bei den Konkurrenten von Manica, F. cinerea u. F. fuscocinerea, können polydome und polygyne Koloniesysteme mindestens ebenso spektakulär aussehen!
L.G.
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