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Formica truncorum - eine seltene Waldameisenart

BeitragVerfasst: Mittwoch 28. Mai 2014, 10:26
von Boro
Formica truncorum ist bei uns eine seltene Art, die man hin und wieder in den Niederungen, aber auch im Gebirge auf Weideflächen finden kann. Sie gilt als "heliophil", benötigt also offene, sehr gut besonnte Habitate. Ich würde sie auch als recht thermophil einstufen, in den Niederungen kommt sie am unmittelbaren Rand der Heißländen (wenig bewachsene Schotter- u. Kiesterrassen entlang v. Wildflüssen) vor. Ihre Nester sind meist unregelmäßige Anhäufungen von Föhrennadeln u. anderen pflanzlichen Resten und dienen oft nur vorübergehend als Standort. Auch Unter-Steinnester mit ein paar vor dem Eingang angehäuften Föhrennadeln kommen vor. Oft gibt es im Abstand von ein paar Metern mehrere kleine Nesthügel, die alle gleichzeitig mehr od. weniger lange bewohnt werden, vielleicht ist dies ein Ansatz zu polygyn-polydomen Strukturen (SEIFERT S. 319). Im Gegensatz zu anderen Waldameisen gilt die Art aber als monogyn.
So fragil wie der Nestbau scheint auch die Art selbst zu sein: Wiederholter Standortwechsel der Nester während des Jahres macht die Zählung schwierig, im Winter werden Nester eher im (lichten) Waldbereich bezogen. Ein Jahr findet man 2 Nester und im nächsten keines. Auf 500 m entlang der Schotterterrassen konnte ich 3 Nester finden, das ist schon ein Glücksfall. Dabei ist es eine schöne gefärbte Art, der Rotanteil an der Gesamtfärbung ist noch vor F. sanguinea der höchste aller Formica spp. Die Art ist leicht v. anderen Waldameisen zu unterscheiden.
Ich konnte vor ein paar Jahren 2 Schwarmtermine in Juli beobachten, jeweils ab 08:00 morgens bei schönem Wetter und 19° bzw. 21°C (vgl. SEIFERT S. 319!).

Re: Formica truncorum - eine seltene Waldameisenart

BeitragVerfasst: Montag 29. September 2014, 21:10
von Boro
Formica truncorum lebt teilweise syntop mit den Arten der cinerea-Gruppe. In den Heißländen (heiße, vegetationsarme Uferterrassen v. Fließgewässern) wurde ich Zeuge einer territorialen Auseinandersetzung zwischen F. truncorum und F. fuscocinerea: Es ging um Dauernahrungsplätze - Nutzung des Honigtaus von Rindenläusen an einer Rotföhre! Ein Konkurrent musste weichen, diesmal war es F. fuscocinerea!

Re: Formica truncorum - eine seltene Waldameisenart

BeitragVerfasst: Mittwoch 17. Dezember 2014, 18:21
von Boro
Noch rasch 2 Fotos von einer Fütterungsstelle:

Re: Formica truncorum - eine seltene Waldameisenart

BeitragVerfasst: Samstag 1. August 2015, 07:05
von Boro
Bessere Bilder einer Gyne aus dem Nationalpark Gesäuse in der Steiermark/Österreich (Mitte Juli) v. Roman Borovsky

Re: Formica truncorum - eine seltene Waldameisenart

BeitragVerfasst: Donnerstag 21. September 2017, 17:41
von Reber
In der Literatur habe ich Hinweise gefunden, dass bei Formica truncorm Dulosis vorkommen soll. Kutter erwähnt im Buch "Die sozialparasitischen Ameisen der Schweiz":

Hier muss es verschiedene Rassen geben, nämlich solche mit kleinen und schmächtigen, andere mit normal grossen Weibchen, dann wiederum solche, welche Zweigkolonien bilden und endlich sogar solche, welche fast regelmässig Arbeiterinnen der kleinen roten Waldameise F. polyctena als Hilfsameisen halten.


In der Waldameisenfiebel von Dieter Bretz wird sich auf Kutter bezogen. Weiter gibt es aber einen Hinweis drauf, dass bei Ausgrabungen von "Mischvölkern" zwischen Formica truncorm und F. polyctena Königinnen von beiden Arten in der gleichen Nestkammer gefunden wurden.

Weiss jemand mehr darüber? Gibt es hierzu neue Erkenntnisse?

Re: Formica truncorum - eine seltene Waldameisenart

BeitragVerfasst: Donnerstag 21. September 2017, 19:46
von Phil
Hey Reber,

Frank hatte mal im Eusozial über seine Vermutung geschrieben, dass die F. truncorum bei anderen Waldameisen sozialparasitisch gründen. Das würde das Vorkommen von F. polyctena in F. truncorum Hügeln erklären.

Grüße, Phil

Re: Formica truncorum - eine seltene Waldameisenart

BeitragVerfasst: Donnerstag 21. September 2017, 20:22
von Boro
Soweit ich weiß, weist Gösswald darauf hin, dass man in F. truncorum-Nestern nicht nur Arbeiterinnen von F. polyctena, sondern auch Weibchen dieser Art finden kann. Ich habe nachgeschaut, er spricht vom "sozialparasitischen Typ der Allianzkolonien" [Gösswald K. (2012): Die Waldameise - Biologie, Ökologie und forstliche Nutzung. Sonderausgabe in einem Band, Aula-Verlag Wiebelsheim] auf S. 74. Auch Adoptionsversuche, bei poygynen F. truncorum-Kolonien Weibchen polygyner F. polyctena-Weibchen beizugeben, waren offenbar erfolgreich.
Diese Versuche dürften nur bei polygynen Kolonien klappen, da im Staat mit mehreren Weibchen die Toleranz gegenüber "Fremden" größer zu sein scheint.
Ich zitiere Gösswald (S. 74) weiter: "Wir wissen, dass die Kleine Waldameise F. polyctena sämtlichen anderen Formica-Arten deutlich unterlegen ist. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, dass die Kleine Waldameise selbst als Hilfsameise von duftlich überlegenen gebraucht wird, ..."

2 Dinge verstehe ich da allerdings nicht:
1. Ich habe schon viele F. polyctena-Nester u. deren Bewohner beobachtet, diese waren aber fast durchwegs große kräftige Tiere (genau so wie F. rufa), nach Gösswald könnte es sich da um monogyne Nester gehandelt haben. Ich kenne sie nur genau so kriegerisch wie ihre Artverwandten und weise in dem Zusammenhang darauf hin, dass ich einen grandiosen Sieg der Art über die (angeblich) kaum zu überwindenden Lasius fuliginosus erlebt habe: viewtopic.php?f=46&t=1001&p=8373&hilit=Lasius+fuliginosus#p8373 Abgesehen davon gilt F. polyctena als jene Waldameisenart, welche die größten Populationen aufbauen kann und oft ganze Reviere mit Zweignestern besetzt.
2. Ökologisch gesehen besetzen F. truncorum u. F. polyctena unterschiedliche Habitate und dürften sich eher seltener begegnen.
L.G.

Re: Formica truncorum - eine seltene Waldameisenart

BeitragVerfasst: Freitag 22. September 2017, 10:09
von Merkur
Begriffsklärung:

Dulosis = Sklavenhaltung, gehört zum Bereich des permanenten Sozialparasitismus. Bei Duloten unternehmen (+/- ausgewachsene) Völker immer wieder organisierte Raubzüge auf Wirtsvölker, mit dem Ziel, vor allem Arbeiterinnen-Puppen zu erbeuten, aus denen dann Hilfsameisen („Sklaven“) schlüpfen.

Obligatorische Dulosis (Bsp. Polyergus rufescens, Harpagoxenus sublaevis, Chalepoxenus- und Myrmoxenus-Arten) sind ohne solche Hilfsameisen nicht überlebens- und reproduktionsfähig. Die Zahl der Hilfsameisen übersteigt fast immer die der eigenen Arbeiterinnen.

Fakultative Dulosis (Bsp. Raptiformica sanguinea, in Nordamerika weitere Arten) unternehmen Raubzüge auf Formica spp. (fast immer der Untergattung Serviformica), haben in der Regel Hilfsameisen im Nest, doch in geringerer Zahl als eigene Arbeiterinnen, können notfalls jedoch sogar ohne Hilfsameisen auskommen. Ein Großteil der geraubten Brut wird an die eigene (Raptiformica-) Brut verfüttert (trotz zahlreicher Untersuchungen und Berichte lässt sich m. E. noch nicht beurteilen, wie viel von der geraubten Brut gefressen wird bzw. schlüpfen darf; möglicherweise hängt das auch vom Zeitpunkt der Raubzüge im Jahreszyklus ab, sowie von der Ernährungslage der raubenden Völker!).

Obligatorische Duloten gründen ihre Kolonien immer abhängig, bei einer der Sklavenarten (eine Dulotenart kann mehrere Wirts- bzw. Sklavenarten haben).
Bei Raptiformica scheint abhängige Koloniegründung die Regel zu sein, doch soll es bei R. sanguinea auch auf andere Art möglich sein (selbständig in Pleometrose, Raub einiger weniger Wirtspuppen durch die gründende Königin, andere?)

Temporärer Sozialparasitismus (Bsp. Chthonolasius-Arten, Lasius fuliginosus): Nur die Koloniegründung erfolgt parasitisch bei einer Wirtsart. Nach der Gründungsphase enthalten die Völker der temporären Sozialparasiten nur noch eigene Arbeiterinnen und benötigen keine Hilfsameisen mehr.

Inquilinismus ist eine weitere Form des permanenten Sozialparasitismus. Die parasitischen Arten leben dauerhaft in den Nestern ihrer Wirtsarten und können weder selbständig Völker gründen noch sich ohne Wirtsart fortpflanzen (Bsp. Plagiolepis xene, Leptothorax pacis, Anergates atratulus). Zumeist bilden die Inquilinen keine oder allenfalls sehr wenige eigene Arbeiterinnen aus.

Zu Formica truncorum:
Die meisten, wo nicht alle, Arten der Untergattung Formica s. str. sowie der UG. Coptiformica sind fakultativ polygyn, haben also monogyne Völker und in mehr oder weniger großem Umfang polygyne und polydome Kolonieverbände. Monogyne Völker werden durch je eine Jungkönigin temporär parasitisch gegründet, bei polygynen werden Jungköniginnen in vorhandene Völker aufgenommen; die Kolonievermehrung erfolgt dann hauptsächlich durch Aufspaltung großer Völker mit jeweils mehreren bis vielen Königinnen (bei F. polyctena sind nur äußerst wenige angeblich monogyne Völker dokumentiert; meines Wissens nur anhand der Größe der Arbeiterinnen! Es ist auch schwierig, bei den riesigen Völkern die Anwesenheit nur einer Königin nachzuweisen und die Existenz einer oder einiger weniger weiterer auszuschließen).
Völker von F. truncorum mit einem Anteil fremder Arbeiterinnen sind mit hoher Wahrscheinlichkeit noch jüngere, parasitisch gegründete Völker.
Eine weitere Ursache für Mischnester können territoriale Auseinandersetzungen zwischen zwei Völkern verschiedener Arten sein, mit Übernahme von Brut aus dem unterlegenen Volk. Ob die von Gößwald erwähnten Gynen von F. polyctena in F. truncorum- Nestern begattet und fertil waren, wurde mit Sicherheit nicht überprüft!
Insgesamt habe ich den Eindruck, dass wir über Formica truncorum längst noch nicht alles Wissenswerte kennen. Vermutungen sind keine Beweise!

Das Buch Gösswald K. (2012):Die Waldameise - Biologie, Ökologie und forstliche Nutzung. Sonderausgabe in einem Band, Aula-Verlag Wiebelsheim ist eine lange nach dem Tod des Autors erschienene, wenig fachkundig und m. E. lieblos zusammengeschriebene Kurzform seiner ursprünglich zwei umfangreichen Bände. Kurz gesagt: Es gibt den Stand der Forschung in den 1980er Jahren wieder, und das zum Teil fehlerhaft!
Man muss bedenken, dass es zur Zeit von Gößwald noch erhebliche Unsicherheiten hinsichtlich der Taxonomie der Formica s.str.- Arten gab. Manche Beobachtungen können sich auf andere als die genannten Arten beziehen!
Hier hatte ich mich dazu im Forum der DASW geäußert: http://www.ameisenschutzwarte.de/forum/ ... 97&start=0
Es sei auch auf eine ausführliche Besprechung durch unser Mitglied „Teleutotje“ im amerikanischen The Ant Farm and Myrmecology Forum (früher: Yuku-Forum) hingewiesen: https://www.tapatalk.com/groups/antfarm ... 13932.html

MfG,
Merkur

Re: Formica truncorum - eine seltene Waldameisenart

BeitragVerfasst: Montag 11. Dezember 2023, 21:56
von Boro
Neststandorte und Nestformen von F. truncorum

F. truncorum gilt bei uns als seltene Waldameisenart. Auch die Konkurrenzfähigkeit mit anderen Waldameisen scheint nicht ausgeprägt zu sein. Die Art gilt als heliophil, man findet sie nur im gut besonnten Gelände, schon seltener an (gut besonnten) Waldrändern. Bei uns in Kärnten bewohnt sie vor allem zwei Zonen:
Heißländen mit ihren Randgebieten in den Niederungen und Waldlichtungen bzw. extensiv genutzte Weideflächen im Mittelgebirge. Die Vegetation ist in beiden Verbreitungsgebieten lückenhaft (schüttere Föhrenbestände, z. B. Erico-Pinetum silvestris, Rotföhren-Schneeheidewald am Rande der Heißländen) oder Alwiesen mit verteilten, geringen Gebüsch-Beständen). Während in den Heißländen die Konkurrenz anderer Waldameisenarten gering ist, stehen die Bestände auf den Almwiesen unter Druck von Coptoformica exsecta.
Der Begriff "Strunkameise" bezieht sich auf den Bau der Nester um stehendes Totholz oder am Fuß von Bäumen. F. truncorum wählt aber auch andere Nistplätze aus und kommt mit Nestern in Hügeln aus Schotter und anderen Ablagerungen zurecht. Die Nester sind oft nur vorübergehend bewohnt und wirken mit "lieblos" anghäuftem Nistmaterial vor allem aus Föhrennadeln, eher als provisorische Unterkunft. Mitunter findet man polydome Anlagen, wobei mehrere kleinere Nesthügel im Abstand von 1 bis 3 m zueinander angelegt werden. Außerdem scheint zumindest ein teilweiser Wechsel zwischen Sommer- und Winternestern vorzukommen. Große Nester, wie sie auch Seifert beschreibt, habe ich noch nie gefunden, die meisten Nester mit vorhandenem Nestaufbau sind etwa 20 bis 30 cm hoch. Daraus kann man schließen, dass die Stärke der Nestpopulationen sich nicht mit jenen von F. rufa oder F. poyctena vergleichen lässt. Es gibt auch Nester, wo die Anhäufung von Nestmaterial weitgehend fehlt.