„Es kommt drauf an, was man draus macht!" (Werbeslogan der Betonindustrie)
Gestern habe ich mich bewusst vorsichtig und etwas unbestimmt ausgedrückt. Man schreibt leicht zuviel, was dann auch schnell die Gelegenheit zu falschen Deutungen gibt. Nachdenken ist auch in diesem Fall wichtig, und dazu wollte und will ich anregen.
Man muss sich vor “Schnellschüssen“ hüten, obwohl es natürlich leicht ist, sich heute, angesichts der Fülle der zur Verfügung stehenden Informationen, aufs Hohe Ross zu setzen und zu sagen „
wie konnte man nur!“ („
man“ = Lorenz sowie die Verleihungsgremien für den Nobelpreis bzw. für den Dr. h. c. an ihn). Es ist der “Zeitgeist“ (ein ungutes Wort, mit dem zu viel entschuldigt wurde und wird). Auch „
mit den Wölfen heulen“ fällt mir dazu ein.
Bei der Begründung der Aberkennung bezieht man sich in den Medien sehr ausgiebig auf ein wohl in irgendeinem Archiv ausgegrabenes (handschriftliches) Dokument:
„Lorenz habe sich in seinem Aufnahmegesuch an die NSDAP vom 28. Juni 1938 als besonders engagierter Nationalsozialist dargestellt,…“Nachdenkliche Frage: Wer würde sich bei der Bewerbung, z. B. um eine Anstellung bei einer Firma oder im Aufnahmeantrag zu einer heutigen Partei nicht im passenden „richtigen Licht“ darstellen?
Ich habe mir selbst, nicht erst jetzt bei dieser Gelegenheit, die Frage vorgelegt:
Wie hätte ich mich in der damaligen Situation verhalten? – Gerne würde ich schreiben:
„Ich hätte den Nationalsozialismus strikt abgelehnt!“ – Doch bei dieser Antwort ist der Wunsch der Vater des Gedankens!
Damals hat jeder Haushalt Hitlers „
Mein Kampf“ geschenkt bekommen. Das Exemplar, das meine Eltern 1938 zur Hochzeit bekamen, lag noch lange genug zu Hause herum, so dass ich irgendwann im Alter von vielleicht 18 Jahren mal drin herum gelesen habe (das war dann gegen Ende der 1950er Jahre). Den Inhalt habe ich nicht richtig erfasst, habe es längst nicht komplett gelesen! Der Schreibstil war derart propagandistisch-hetzerisch, dass mich das alleine wohl schon gegen den Verfasser und seine Ideen eingenommen hätte, wäre ich 1938 bereits 18 oder 20 gewesen.
Aber sicher sagen kann ich das nicht. – Internet gab es noch nicht, keine Foren, kein facebook, kein Fernsehen etc., die Medien (Radio, Zeitungen) waren „gleichgeschaltet“, allenfalls in den Kinos und natürlich beiden öffentlichen Auftritten konnte man den „Führer“ life erleben. Er und sein Propagandaminister müssen doch viele überzeugt haben…. Noch in meiner Jugendzeit traf ich häufiger auf späte Anhänger als auf Gegner des Hitler-Regimes. In anderen Familien war das anders, wie ich später erfahren habe. Die Autobahnen, er hat Arbeitsplätze geschaffen; der Vater eines Schulfreundes, im 3. Reich Jagdflieger:
„Die Leute hatten endlich wieder was zu essen…“, usw.. Später lernte ich Menschen aus der Verwandt- und Bekanntschaft kennen, die selbst Halbjuden waren und Verwandte oder gute Freunde verloren hatten. Auch Leute, die bereits während des Hitler-Regimes m. o. w. offen Widerstand geleistet oder sich zumindest sehr kritisch geäußert hatten.
Das war lebensgefährlich! Nur wer etwa in einem kriegswichtigen Betrieb beschäftigt und nicht ersetzbar war, konnte sich unter Umständen so etwas leisten. –So wird jeder aus den entsprechenden Jahrgängen und abhängig vom persönlichen Umfeld seine eigenen Erfahrungen gemacht haben.
Diese Hintergründe muss man sich vor Augen halten, bevor man sich ein Urteil anmaßt.
Doch zurück zu Konrad Lorenz: Ganz gewiss falsch wäre es jetzt, aufgrund von Lorenz’ politischen Fehleinschätzungen seine wissenschaftliche Leistung gleich mit zu verurteilen oder zu entwerten! Leider besteht ja diese Gefahr.
Im eusozial verlinkt ist ein Artikel aus der „Zeit“:
http://www.zeit.de/wissen/geschichte/20 ... ozialismus Ein Journalist, offensichtlich kein Biologe und wohl deshalb die Nase bis in hirnschädigend dünne Luftschichten erhoben, muss genau in diese Richtung treten und Lorenz’ wissenschaftliche Erkenntnisse ins Lächerliche ziehen.
„Irrwege eines Küken-Vaters“ und
„Entenflüsterer und Nobelpreisträger“ sind die bereits hochgradig diffamierenden Überschriften.
„Verhaltensrepertoire aus der Steinzeit?“ - Jawohl, Herr Schmidt! Wer nur etwas Ahnung von Evolution und Selektion hat, weiß, dass noch gar keine genetische Anpassung an die Massengesellschaft stattgefunden haben
kann, dass wir in der Tat noch mit den Genen der Steinzeit und früher ausgestattet sind, und dass wir die über mindestens 2 Millionen Jahre erfolgreichen Verhaltensmuster mit unserer ganzen Ethik und Moral (Gedankenkonstrukte ohne genetische Grundlage!) leider nur lückenhaft übertünchen können. Jeder Krieg, jeder Streit, jedes Mobbing beweist, dass das
„Recht des Stärkeren“ (Schlaueren, besser Gerüsteten, Rücksichtsloseren,…) jeden Tag den dünnen Firnis von Ethik und Moral durchbrechen kann.
Anders als Ameisenarbeiterinnen werden wir eben nicht als besinnungslose Altruisten geboren, sondern als Egoisten. Wir müssen mühsam lernen, uns in die Gesellschaft so einzufügen, dass diese möglichst reibungsarm funktioniert. Und wir müssen Übeltäter aus dem Verkehr ziehen, einsperren, evtl. lebenslänglich. In manchen Demokratien gibt es die Todesstrafe.
Wir haben aus den ethologischen Arbeiten von Konrad Lorenz viel lernen, viel Selbsterkenntnis gewinnen und viel Wissen über die Natur der Tiere erfahren können. Dafür bin ich als Biologe ihm dankbar und werde es bleiben!„Es kommt drauf an, was man draus macht“ - hier liegen die echten Probleme. Selbstverständlich können wir uns in unserem Verhalten nicht auf den angeborenen Egoismus berufen.
Genau an dieser Stelle beginnt das Menschsein, mit der Menschlichkeit!Jeder Heimtierzüchter, ob er Goldfische, Kaninchen oder Kanarienvögel produziert,
selektiert nach „Eignung“, passendem Aussehen usw., „
merzt aus“ (= euthanasiert), was genetisch nicht geeignet erscheint, oder gar nur überzählig ist. Das akzeptieren wir als normal und üblich, ebenso wie in der Haustierzucht. („Qualzuchten“ lasse ich mal außen vor; die halten viele zu recht für verwerflich).
Wird dieses Verfahren auf Menschen übertragen, verlässt man die Menschlichkeit. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, und ganz besonders in der Nazizeit, hat man nicht nur diese Grenze überschritten. Man hat sich auch auf
falsche Berechnungen gestützt. Längst wissen wir heute, dass mit aller Sterilisation oder gar „Ausmerzung“ von Erbkranken (genetisch defekten Menschen) es auch über Hunderte oder gar 1.000 Generationen nicht gelingen könnte, die Menschheit von Erbkrankheiten zu befreien. Die Wissenschaft der Genetik hat Fortschritte gemacht.
Um diesen Beitrag nicht noch viel länger zu machen: Die Forschung erarbeitet immer wieder bedeutende neue Kenntnisse und Erkenntnisse. Die „Politik“ (im weitesten Sinne) entscheidet, was damit gemacht wird. Alfred Nobel hat das Dynamit erfunden, das zweifellos sehr hilfreich war und ist. Doch in Kriegswaffen…. :!)
Die zumindest zeitweilig sehr nützlich erscheinende Kernkraft wurde gleich zu Anfang für A-Bombe und H-Bombe eingesetzt.
Sollten Forscher solche Erfindungen in die Schublade stecken, weil sie missbräuchlich verwendet werden können?
Es gibt Grenzbereiche, wo sogar Wissenschaftler wie Konrad Lorenz unter dem Einfluss der herrschenden Ideologie die Grenzen überschreiten.- Aus heutiger Sicht verwerflich, unter Berücksichtigung der damaligen Umstände (politischer Druck; finanzielle Aspekte usw.) vielleicht
wenigstens teilweise verständlich.
Ich kritisier nicht, dass die braunen Flecken aus der Vergangenheit von Lorenz aufgedeckt wurden. Aber mich stört, dass man ihm aufgrund dieser Enthüllungen Ehrungen aberkennt, die er für seine wissenschaftliche Arbeit erhalten hat und eben nicht für die Nazi-freundliche Interpretation. Meiner Meinung nach hätte es genügt, eine wirklich sorgfältige Untersuchung durch Historiker an geeigneter Stelle zu veröffentlichen.
Das Problem ist vielschichtig, wie ich hoffentlich deutlich machen konnte. Ich bin froh, dass wir hier in unserem Forum so umsichtig darüber diskutieren können, ohne plakative Schuldzuweisungen durch Leute, die dank der
“Gnade der späten Geburt“ (Helmut Kohl) keine Gelegenheit hatten sich selbst in einer derartigen Situation moralkonform und untadelig zu verhalten.
MfG,
Merkur