Polygynie bei Tetramorium caespitum? [T. impurum]

Hier können allgemeine Fragen zum Thema Ameisen, sowie zu europäischen Ameisenarten gestellt werden.

Polygynie bei Tetramorium caespitum? [T. impurum]

Beitragvon nortorn » Montag 27. März 2017, 22:52

Zuerst einmal möchte ich anmerken, dass ich mir durchaus im klaren darüber bin, dass mehrere Gynen in einer Kolonie nicht zwangsläufig und zweifelsfrei bedeutet, dass die Kolonie als polygyn bezeichnet werden kann.

Zur Sache:

Ich finde in letzter Zeit (seit letztem Jahr, etwa selbe Zeit) immer häufiger Nester von Tetramorium caespitum mit 2 oder mehr Gynen. Ich grabe die Nester nicht aus, diese Beobachtungen mache ich beim umdrehen von von der Sonne erwärmten Steinen.

Ich habe letzten Frühling bei Gartenarbeiten eine Kolonie dieser Art eingesammelt in der 2 Gynen leben. Mittlerweile ist die Kolonie in der Haltung so groß, dass meiner Meinung nach längst eine der beiden Königinnen von den Arbeiterinnen hätte gewählt werden müssen, handelt es sich doch um eine monogyne Spezies.
Beide Gynen erfreuen sich bester Gesundheit und werden gefüttert und geputzt.
Ich kann nicht ausschließen, dass es noch mehr Gynen gab, allerdings hat der Rest der Kolonie sich entweder einen neuen Platz gesucht oder existiert nicht mehr. Auf dem ursprünglichen Nestplatz befindet sich jetzt eine kleine Feuerstelle.

Heute, wieder bei Gartenarbeiten, habe ich erneut eine Kolonie mit diesmal 5 Königinnen gefunden. Die Kolonie ist sehr groß, geschätzt etwa 5000 Tiere und die Königinnen sowie Brut konnte ich allein beim umdrehen des Steines direkt ausmachen.
Den Stein habe ich langsam wieder hingelegt und habe so schnell wie möglich die Kamera geholt, leider ohne Erfolg, die Gynen waren bereits abgetaucht. Ich muss dazu sagen, dass die Gaster der Gynen relativ stark geschwollen waren, ein Indikator für tatsächlich Eier legende Gynen?

Ich werde versuchen an einem sonnigen Tag erneut die Gynen beim aufwärmen unter dem Stein zu erwischen, dann mit Kamera.

Ich war neugierig geworden und bin heute nachmittag direkt zu einem Ort gegangen wo mir viele Nester dieser Art auf relativ engem Raum bekannt sind.

Etwa 100 Steine habe ich umgedreht, unter 4 habe ich Kolonien mit 2 Königinnen finden können. Unter einigen Steinen war nur eine Königin inmitten der Arbeiterinnen zu sehen, unter allen anderen nur Arbeiterinnen mit Brut, andere Arten oder gar keine Kolonien.
Alle 4 relevanten Kolonien hatten 2 für mich sichtbare Königinnen, niemals mehr.
Es handelt sich nicht um eine der parasitären Arten, dies waren ganz klar entflugelte Gynen von Tetramorium caespitum.

Für mich gibt es nur eine Erklärung.
Anhand der Beobachtungen muss ich davon ausgehen, dass die Kolonien polygyn sind!

Ich würde hierzu gerne eure Meinung hören.
Ich habe die im letzten Jahr eingesammelte Kolonie mit den 2 Königinnen immer noch hier. Falls jemand eine Idee hat wie man zweifelsfrei feststellenkann ob beide Königinnen befruchtete Eier legen, nur zu!
Ich hatte die Königinnen im letzten Jahr räumlich voneinander getrennt und nur den Arbeiterinnen den Zugang zu beiden Königinnen ermöglicht.
Ergebnis: in beiden Königinnen-Kammern tauchten Eier auf.

Mittlerweile sitzen die Gynen wieder zusammen im selben Bereich. Es gibt keinerlei Aggression zwischen den Königinnen oder zwischen den Arbeiterinnen und einer Gyne.

Wie lässt sich das erklären?
In Pleometrose gründen können Tetramorium caespitum gewiss, das habe ich ebenfalls letztes Jahr überprüft.

8 x 2 Gynen gründeten ganz normal in Reagenzgläsern, 4 allein gründende Gynen waren ebenfalls erfolgreich, haben jedoch im Durchschnitt etwa 10 Tage länger für die ersten Arbeiterinnen gebraucht.
Nach einiger Zeit begannen die Arbeiterinnen der Gründerkolonien mit 2 Gynen jeweils eine der Gynen zu mobben.
Es war klar ersichtlich, dass die Arbeiterinnen sich für eine Königin entschieden hatten und dass sie eine getötet hätten. Ich beendete den Versuch, trennte die Kolonien und habe sie alle auf einem frisch planiertem Gelände unter Steinen wieder freigesetzt.

Haben in Pleometrose gründende Königinnen einen Vorteil gegenüber einzelnen Gründerinnen, in meinem Versuch zeichnete sich schließlich ein klarer Zeitvorteil bei der Gründung ab, und kristallisieren sich diese erfolgreichen/erfolgreicheren heraus?
Wenn ja, was treibt sie dazu? Die enorm hohe Nestdichte?

Wie gesagt, ich würde gerne eure Meinung dazu wissen.
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Re: Polygynie bei Tetramorium caespitum?

Beitragvon Trailandstreet » Dienstag 28. März 2017, 08:10

Das sind interessante Beobachtungen, die Du da gemacht hast.
Grundsätzlich möchte ich aber sagen, dass man wohl das Verhalten in freier Natur manchmal nicht so 1:1 mit einer künstlichen Haltung vergleichen kann. Da spielen einige Faktoren eine Rolle, Platz- und Nahrungsangebot und wahrscheinlich noch eine Menge anderer Dinge. Einen gewissen Konkurrenzdruck oder zumindest Interaktion mit derselben oder anderen Arten würde ich auch nicht ausschließen.

Es stellt sich aber auch die Frage, warum ist die Entwicklungszeit in der Pleometrose verkürzt? Werden die gleiche oder nur eine geringere Zahl mehr Pygmäen aufgezogen und von beiden gefüttert?
Das wäre wohl sicher eine Untersuchung wert.
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Re: Polygynie bei Tetramorium caespitum?

Beitragvon Merkur » Dienstag 28. März 2017, 09:45

Hallo nortorn,

Nach der Beschreibung dürfte es sich um Polygynie handeln. Zweifel habe ich daran, dass Du es mit T. caespitum zu tun hast! – Es gibt ja inzwischen mehr als ein halbes Dutzend einheimische Arten der Gattung. Echte Polygynie war bisher nur mal bei einer in den Alpen gefundenen Art beobachtet worden (Artzugehörigkeit unklar).

Mein Vorschlag: Du schickst mir (Adresse siehe PN) eine Probe aus dem Freiland, mit 3-4 Gynen (besser noch mehr) aus einem polygynen Volk und ca. 20 Arbeiterinnen lebend. (Evtl. auch 2 oder 3 Proben mit je 2 Gynen)
Ich seziere die Gynen und prüfe sie auf Begattung und tatsächliche Eiablage.
Weiterhin sende ich Gynen und Arbeiterinnen konserviert an die Schlick-Steiners an der Uni Innsbruck, die sich seit Jahren intensiv um die Tetramorium-Arten bemühen. Auch eine Probe an B. Seifert (Görlitz) könnte ich versenden.
Damit würden wir höchstmögliche Gewissheit bekommen.

Andernfalls kann man nur wild spekulieren,waszu keinerlei brauchbarem Ergebnis führt!

MfG,
Merkur
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Re: Polygynie bei Tetramorium caespitum?

Beitragvon Merkur » Mittwoch 29. März 2017, 16:20

Über polygyne Tetramorium-Arten aus dem T. caespitum/impurum- Komplex gibt es nicht viel Literatur:

(1) F. M. Steiner, B. C. Schlick-Steiner, A. Buschinger 2003: First record of unicolonial polygyny in Tetramorium cf. caespitum (Hymenoptera, Formicidae). - Insectes Sociaux 50, 98-99. - Erster publizierter Hinweis auf eine polygyne Art im T. caespitum/impurum-Komplex.

(2) Tetramorium alpestre: Erstbeschreibung: Only known Western Palearctic species of the T. caespitum/impurum complex with functional polygyny (more than one queen per nest egg-laying) and supercolonies …”. Habitat: Alpine Matten.

(3) Nicht zum T.-caespitum/impurum-Komplex gehörig: Tetramorium tsushimae. Hier im AP. Und im AntWiki.
Es ist eine T. caespitum recht ähnliche Art, ein wenig kleiner als diese, ursprünglich in Japan, Korea und im gemäßigten China beheimatet. Hoch polygyn und polydom! Die Art wurde in den USA invasiv.
Steiner, F.M., Schlick-Steiner, B.C., Trager, J.C., Moder, K., Sanetra, M., Christian, E., Staufer, C., 2006. Tetramorium tsushimae, a new invasive ant in North America. Biol. Invasions 8, 117–123. PDF
Siehe auch Ameisenwiki: http://www.ameisenwiki.de/index.php/Tet ... _tsushimae

Bei polygynen Tetramorium-Arten in Mitteleuropa sollte man also hellhörig werden!

MfG,
Merkur
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Re: Polygynie bei Tetramorium caespitum?

Beitragvon Phil » Mittwoch 29. März 2017, 21:28

Vielleicht handelt es sich eher um T. moravicum. Die sollen entlang des Rheins stellenweise häufig vorkommen (wenn ich mich recht erinnere), und sind sicher leicht mit T. caespitum zu verwechseln.

Grüße, Phil
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Re: Polygynie bei Tetramorium caespitum?

Beitragvon nortorn » Donnerstag 30. März 2017, 07:01

Guten Morgen,

die 2 Königinnen mit einigen Arbeiterinnen habe ich gestern an Merkur versendet damit er sie sezieren kann. Ob die Kolonie polygyn ist, sollte damit zu klären sein und eventuell auch um welche Art es sich handelt.
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Re: Polygynie bei Tetramorium caespitum?

Beitragvon Merkur » Donnerstag 30. März 2017, 10:08

Die von Phil erwähnte Tetramorium moravicum gehört zum T. chefketi - Artenkomplex.
http://www.antwiki.org/wiki/Tetramorium_moravicum

Csosz S., A. Radchenko and A. Schulz. 2007. Taxonomic revision of the Palaearctic Tetramorium chefketi species complex (Hymenoptera: Formicidae). - Zootaxa 1405:1-38. http://www.antwiki.org/wiki/images/7/75/Csosz_2007.pdf

Schlick-Steiner, B. C.; Steiner, F. M.; Sanetra, M.; Heller, G.; Stauffer, C.; Christian, E.; Seifert, B. 2005. Queen size dimorphism in the ant Tetramorium moravicum (Hymenoptera, Formicidae): morphometric, molecular genetic and experimental evidence. - Insectes sociaux 52: 1-8.

Zeitweilig trug die im Mittelrheingebiet vorkommende Art den Namen T. rhenanum, der aber inzwischen als jüngeres Synonym von T. moravicum gilt.

Seifert (2007) S. 248-250: Die Art kommt im Ober- und Mittelrheingebiet vor sowie an Nahe, Mosel und Lahn. Stark xerothermophil, auf südexponierten Felshängen, in Weinbergen. Monogyne und polygyn-polydome Kolonien, in letzteren mikrogyne Königinnen.
Der Fundort von nortorn bei Duisburg läge weit nördlich des bekannten Verbreitungsgebietes.

Es wird also spannend!

MfG,
Merkur
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Re: Polygynie bei Tetramorium caespitum?

Beitragvon Merkur » Donnerstag 30. März 2017, 16:48

Hallo nortorn,

Die Sendung ist angekommen. Große Anerkennung für die perfekte Verpackung!
Die Gynen habe ich gleich seziert: Beide begattet, mit sehr vielen heranreifenden Eiern in den Ovariolen. Corpora lutea waren vorhanden,
aber recht wenige, so als hätten die Tiere noch nicht viel gelegt.
Der einen fehlte die Fühlerkeule rechts. Evtl. ein Indiz für einen Kampf? Aber das kann auch andere Ursachen haben. Jedenfalls ist dieses
Volk polygyn (gewesen).
Bilder folgen noch.
Für einen Bestimmungsversuch muss ich noch in den Beschreibungen und Schlüsseln nachsehen.

Edit: Hier drei Bilder.
gyne-1-nortorn-048.jpg
Gyne 1 im Wachsbecken. Re.Fühlerkeule fehlt.
Gyne-1-nortorn,-Ovar-049.jpg
Gyne 1: Die 2 Ovarien. Links über der Nadel zarte Gelbkörper.
Gyne-2-nortorn-Ov.+Rec.056-.jpg
Gyne 2. Die beiden Ovarien mit zusammen ca. 70 Ovariolen. R. s.: Das etwa hantelförmige Receptaculum.
Die Farbe zeigt, dass es prall gefüllt ist.

MfG,
Merkur
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Zuletzt geändert von Merkur am Donnerstag 30. März 2017, 20:05, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: Polygynie bei Tetramorium caespitum?

Beitragvon nortorn » Donnerstag 30. März 2017, 17:20

Hallo Merkur,

das klingt schonmal sehr vielversprechend.
Dass nur wenige Gelbkörper zu finden waren deckt sich mit meinen Beobachtungen, ich habe bei meiner Kolonie hauptsächlich Larven und Puppen gefunden, Eier nur sehr wenige, vom Volumen her insgesamt vielleicht das einer kleinen Erbse.

Schön, dass wir bezüglich der Polygynie jetzt Gewissheit haben, zumal das ja wie schon erwähnt kein Einzelfall ist.

Gruß,
nortorn
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Re: Polygynie bei Tetramorium caespitum?

Beitragvon nortorn » Donnerstag 30. März 2017, 18:09

Ich muss hier noch etwas hinzufügen.
Ich habe eben den oben genannten Artikel
((1) F. M. Steiner, B. C. Schlick-Steiner, A. Buschinger 2003: First record of unicolonial polygyny in Tetramorium cf. caespitum (Hymenoptera, Formicidae). - Insectes Sociaux 50, 98-99) gelesen.

Es wurden Versuche gemacht bezüglich der Aggressivität zwischen Arbeiterinnen aus dem selben Nest und zwischen Arbeiterinnen aus verschiedenen polygynen Nestern die räumlich nah beieinander lagen (400m max.)

Ich habe ähnliche Versuche mit den Kolonien in meiner Nähe gemacht, noch bevor ich das erste Mal eine Kolonie mit mehreren Gynen fand, und auch diese Arbeiterinnen waren in allen Fällen nicht aggressiv gestimmt.

Auch wenn ich diese Versuche nicht unter Laborbedingungen gemacht habe halte ich es für sinnvoll es zu erwähnen.
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Re: Polygynie bei Tetramorium caespitum?

Beitragvon Merkur » Samstag 15. April 2017, 10:07

Es ist Tetramorium impurum!

Von Herrn Dr. Seifert erhielt ich eine e-mail, in der er das Ergebnis seiner Untersuchung der Probe von nortorn mitteilt. Danach handelt es sich „eindeutig um Tetramorium impurum“.
Dass die Bestimmung auch für einen Spitzen-Myrmekologen nicht ganz einfach ist, geht aus folgender Bemerkung hervor:
Die Untersuchung dauert pro Tier über eine Stunde – 30 Merkmale mit insgesamt 44 Messungen sind abzuarbeiten. Auch vom subjektiven Eindruck ist das impurum und zoogeographisch passt es auch.“
Sehr interessant ist, dass die bestehende Vermutung einer Polygynie bei T. impurum durch die Population von Duisburg eine willkommene Bestätigung finden kann! (@ nortorn: Weiteres via PN!)
Mich freut es ganz besonders, dass hier wieder einmal eine fruchtbare Zusammenarbeit von Forenusern und Wissenschaftlern läuft! ;)

MfG,
Merkur
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