Kürzlich wurde ich von einer Person aus dem weiteren Bekanntenkreis gebeten, mich zu deren Plan einer Ameisenhaltung in einer Grundschulklasse
zu äußern. Beabsichtigt war der Kauf eines
„Beobachtungssets“ (mit Gelformikarium). Die Dinger werden ja heftig beworben.
Da musste ich ausführlicher Stellung nehmen. Ich kopiere meinen Text (weitgehend) hier ein, da ja immer wieder solche Ideen aufkommen.
Zu dem Ameisen-Beobachtungsset:Ganz kurz: Schrott! Und
auch gegenüber der Haltung von Ameisen in der Schule bin ich prinzipiell recht reserviert.Das Set enthält ein Gel, in dem die Ameisen buddeln und kacken, und das sie fressen sollen. Nach spätestens ein paar Wochen sind alle Ameisen tot.
Leichen lassen sich nicht aus den Tunneln entfernen. Ein richtiges Volk mit Königin und Larvenaufzucht konnte in solchen „Gelfarmen“ nie gehalten
werden. Die Dinger stammen aus USA, wo es Ameisenarten gibt, die unentwegt darin graben (man kann dort nur Arbeiterinnen kaufen), bis sie tot
umfallen. In D haben wir keine geeignete Art, die sich für den Besatz eignen würde. Was der „
Hagemann Ameisenstaat“ sein soll, weiß ich nicht.
Eine Art ist nicht angegeben, aber bei den paar Arbeiterinnen kann es, je nach Jahreszeit des Kaufes, bis zu 2 Jahre dauern, bis man vielleicht mal 30-50 Arbeiterinnen hat. - Die Werbung für solcherart „Spielzeug“ lügt schlimmer als die für Wundermittel gegen Fettsucht!
Leider hat sich seit 2000 ein Ameisen-Hype entwickelt, nachdem jemand ein
Ameisenforum eingerichtet hat. Es existiert noch
heute (Sprachlich übrigens ein Graus für Philologen). Inzwischen gibt es 5 oder 6 deutsche und etliche ausländische Foren, und es gibt Tausende von Ameisenhaltern; geschätzte 99,9 % geben nach wenigen Wochen oder Monaten auf, meist weil ihnen die Tiere eingehen oder langweilig werden.
Gleich zu Beginn haben sich ein paar
Ameisenhändler etabliert; der bekannteste ist der
Antstore in Berlin . Sie versenden inzwischen Ameisen aus aller Welt, Formikarien und allerlei mehr oder oft weniger brauchbaren Plunder als „Zubehör“. Manche „Händler“ sind Schüler im Alter von 14-16 Jahren. Die Haltungshinweise auf den Webseiten der Händler sind dürftig, viele Arten sind falsch oder ungenau bestimmt. So kann man auch in der wiss. Literatur nichts über deren Ansprüche an Klima, Nahrung usw. finden. Alle Ameisen werden der Natur entnommen; es gibt keine Nachzuchten wie etwa bei Zierfischen oder Vögeln und Kleinsäugern, es geht also um den reinen Verbrauch wild lebender Tiere!
Leider hat dann auch bald die
Spielzeugindustrie diese Einkommensquelle entdeckt und bietet seither solchen Schrott an wie dieses Hagemann-Zeug. – Es ist erbärmlich wenig, was man bei derartiger „Haltung“ beobachten kann. Was Kinder dabei lernen sollen, ist mir nicht ersichtlich. Die Reklame schildert das natürlich in den rosigsten Farben.
Man muss sich auch überlegen, wie man den „Ameisenstaat“ den Kindern näher bringen will.Die überkommenen Klischees von Königin und Untertanen, Prinzessinnen, Prinzen und Soldaten, passen nicht (....). – Mit einer Monarchie, Diktatur oder gar einer Demokratie hat ein Ameisenvolk absolut nichts gemein, und ob man die Verklärung des Hochadels, der seinen Reichtum ja nur aufgrund der „Sklavenarbeit“ zahlloser ausgebeuteter Untertanen (oft ja sogar „Leibeigene“) ziemlich unrechtmäßig angehäuft hat, in den Köpfen der Kinder weiter pflegen sollte, sei dahingestellt.
Eine bessere Beschreibung der Realität ist
das Ameisenvolk als Super-Organismus, ein „Individuum“, dessen einzelne Zellen bzw. Organe (Königin, Arbeiterinnen, Larven) sich relativ frei bewegen, aber nur insgesamt als Ganzes funktionieren können (auch in unserem Körper gibt es frei bewegliche Zellen, etwa im Blut).
Alle Königinnen von Ameisen, Bienen, Wespen, sind Witwen (die Männchen sterben rasch nach der Begattung). Doch das Wichtigste vom Mann tragen sie zeitlebens mit sich: Das Sperma! Es wird in einer kleinen Blase am Eileiter lebend aufbewahrt, bei manchen Ameisen über 20 Jahre, wird dort ernährt, und jeweils wenn ein Ei aus dem Eierstock gleitet, gibt die Königin eine winzige Menge Sperma auf das Ei. Tut sie das nicht, bleibt das Ei unbefruchtet, und es entwickelt sich zu einem Männchen!
Die
Männchen sind also „vaterlose Gesellen“, zu nichts nütze als in ihrem kurzen Leben ihr Sperma in eine „Prinzessin“ zu pumpen, die
Königin ist das Geschlechtsorgan des Superorganismus! Zu „regieren“ hat sie absolut nichts. Kommt es in der Haltung mal zur Aufzucht von Männchen, liegt der Kasten nach wenigen Tagen voller toter „Prinzen“, oder sie werden sogar von ihren Schwesterchen schlicht ermordet und an die Larven verfüttert.
Arbeiterinnen sind die Ernährungs- und Fortbewegungsorgane des Superorganismus. Bei einem Nestumzug tragen oder führen sie die Königin, sie laufen aus zur Futtersuche, das Futter verdauen sie und bilden daraus hochwertige Futtersekrete, darunter Vorstufen von Dotterproteinen. Die werden dann an die Larven und an die Königin übergeben. Sie synthetisiert daraus das Dottermaterial für ihre Eier. Sie selbst wäre ohne die „Zulieferung“ aus dem oft so genannten „Hofstaat“ niemals in der Lage, alleine eine Eiermenge zu produzieren, die ihr eigenes Gewicht an einem Tag übersteigen kann!
Die Arbeiterinnen und die bei manchen Arten vorhandenen „Soldaten“ sind samt und sonders Kinder der Königin.
Dieser "Staat" funktioniert also auf der Basis von Kinderarbeit und verteidigt sich mittels „Kindersoldaten“! - Hier höre ich mal auf; ich könnte noch vieles mehr schreiben!
(....)
Ein jüngeres Beispiel für die „Beratung“ einer Erzieherin (Kindergarten), die Ameisen in ihrer Gruppe halten will:
https://www.ameisenforum.de/anfangerin- ... 56819.html Darin enthalten ein Link zu einer weiteren solchen Anfrage. Dieser Thread endet allerdings nach langer Diskussion im Mai '17 "offen", ohne Ergebnis.
Ich habe allerdings in Jahren noch nie einen Bericht über den Erfolg eines solchen Projekts gelesen. (
Einfügung: Falls ein/e Leser/in über eine längerfristige, erfolgreiche Haltung von Ameisen in Schule oder Kindergarten etc. berichten kann, wäre dies hier der Ort, die genaueren Umstände anzugeben bzw. den Bericht zu verlinken!)
In jedem Fall, wenn Sie die Ameisenhaltung an der Schule machen möchten, würde ich
dringend empfehlen, erst zu Hause gut ein halbes Jahr zu trainieren und Erfahrungen zu sammeln: Allzu viel kann schief gehen, und vor den Kindern steht man dann dumm da!
Ein Beginn im Herbst bringt nicht viel: Einheimische Ameisen gehen jetzt erst mal in Winterruhe, bis etwa Ende März. Von ausländischen Arten sollte man absehen: Wohin damit, wenn das Projekt zu Ende geht? Freilassen in unserer Natur birgt das Risiko, dass man eine invasive, für die heimische Fauna schädliche Art einschleppt. Also abtöten, aber das macht man auch nicht gerne.
Das Projekt wurde dank dieser Ausführungen abgeblasen. Es gibt bessere Alternativen, wo die Kinder wirklich etwas beobachten, sich in Geduld üben, und etwas lernen können. Aber dazu braucht man keine Ameisen.
(Die Themenstarterin hat im AF nun geschrieben, dass sie eine Kolonie
Messor barbarus gekauft hat, die demnächst in die KiTa umziehen wird:
https://www.ameisenforum.de/wassertrank ... ml#p405384 ). Ich kann nur "viel Erfolg!" wünschen.
MfG,
Merkur