Zoologische Exkursionen im Schatten von Corona

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Zoologische Exkursionen im Schatten von Corona

Beitragvon Merkur » Mittwoch 10. Juni 2020, 10:03

Befreundete Kollegen an der Uni Innsbruck haben mir mitgeteilt, wie dort die Exkursionen jetzt organisiert werden:
„Bei uns ist alles im Lot, aber das Arbeitsvolumen hat sich deutlich gesteigert leider durch CoV. U.a. auch durch das Digitalisieren aller Lehrveranstaltungen. Uebernaechste Woche werden wir eine Exkursion fuer 150 Bachelorstudierende von 2000m Seehoehe mit Gopro, Router und Notebook in die Wohnzimmer live streamen; Studierende koennen ueber Chat Fragen stellen, die wir beantworten.
Total verrueckte Zeit.“

Was bin ich froh, dass ich so etwas nie zu machen hatte! Im Grundstudium Biologie an der TU Darmstadt waren im Sommersemester für die Zoologie jeweils vier solche Exkursionen Pflicht (Teilnahme jeweils im „Exkursionspass“ bescheinigt; die Studierenden mussten Protokolle dazu anfertigen und vorlegen).
Parallel wurden auch von der Botank solche Exkursionen durchgeführt. Bei uns gab es je eine Vogelstimmen-Wanderung, und den Besuch von drei unterschiedlichen Lebensräumen, Gewässer, Trockenrasen, Wiesen und Waldrand. Bei einer Jahrgangsstärke von 90 bis 120 Studierenden musste jede Exkursion (mit je 15 bis 20 Teilnehmern) bis zu sechsmal geführt werden. Das war schon recht lästig.
Aber die Teilnehmer konnten auch Tiere (und Pflanzen) mal anfassen, etwa wenn es gelang, eine harmlose Schlange zu erwischen (was bei uns leider immer seltener wurde):

Schlange.jpg
"Alle dürfen mal anfassen": Eine Schlange, hier eine junge Zornnatter. Sie beißt nur vorn, und da halte ich sie mit sicherem Griff am Hals. ;)
So konnte keine/r mehr glauben, dass Schlangen kalt und „glitschig“ seien. Von der einheimischen Schlingnatter ließ ich mich absichtlich in die Hand beißen, um ihre Harmlosigkeit zu bezeugen (sie wird wegen ihrer Rückenzeichnung auch heute noch gerne mit der Kreuzotter verwechselt, und oft genug deshalb erschlagen :( ).
Ich habe auch regelmäßig kleine Tablettenröhrchen verteilt und den Teilnehmern Gelegenheit gegeben, mal für ¼ Stunde einzusammeln, was sie so fanden (außer Schmetterlingen). Danach wurde bestimmt, und die Tiere wieder freigelassen. Da konnte man erleben, wie schwierig es sein kann, eine Heuschrecke zu fangen, wie die auch beißen und ihren Mageninhalt auswürgen kann. Oder wie unangenehm manche Wanzen riechen, wenn sie sich angegriffen fühlen. Usw.
Natürlich kamen auch Ameisen dran: Die Hand vorsichtig über ein Nest von Formica pratensis halten, Ameisensäure schnuppern! Oder einen dürren Kirschbaumzweig abbrechen: In einem kaum fingerlangen Zweigstück lebt ein ganzes Volk kleiner Temnothorax affinis, mit Königin und Brut! Und sie bleiben darin auch im Winter, bei deftigen Minustemperaturen, bzw. bei Sonneneinstrahlung im Sommer auch mal bei + 40°C!
Das sind haptische und olfaktorische Eindrücke, die man wohl kaum digital vermitteln kann.
Und für die Exkursionsleiter fehlt da auch die direkte „Rückmeldung“, erstaunte Blicke, „ah“, „oh“ und „iiih“, die Mimik der Teilnehmer, kurze direkte Rückfragen, fast alles, was dazu anregt, so eine Führung „lebendig“ zu machen.
Ich kann nur jedem Studierenden wünschen, dass er/sie bald wieder Gelegenheit haben wird, so etwas direkt zu erleben!

MfG,
Merkur
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Re: Zoologische Exkursionen im Schatten von Corona

Beitragvon Antkönig » Donnerstag 11. Juni 2020, 08:12

Das beschreibt meine jetzige Situation sehr gut. Ich hätte in diesem Semester mehrere Exkursionen zur Vogel- und Insektenbestimmung haben müssen. Nun bin ich mit vorheriger online Einweisung in die Vögel Mitteleuropas (durch eine Powerpoint) und ausgestattet mit Fernglas und Bestimmungsbuch, auf mich alleine gestellt. Dort müssen nun 20 Studenten an unterschiedlichen Tagen, Vögel anhand ihres Aussehens oder ihres Gesangs bestimmen. Vor allem letzteres ist ohne Erfahrung eine Aufgabe der Unmöglichkeit.
Von den Klausuren die man nun von zuhause schreibt ganz zu schweigen.
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Re: Zoologische Exkursionen im Schatten von Corona

Beitragvon Merkur » Donnerstag 11. Juni 2020, 09:56

Hallo Antkönig,

Danke für Deinen Beitrag! Er bestätigt, was ich in dieser Situation befürchte. Gerade Vogelstimmen nach „Konserven“ zu lernen (online, oder auf Vogelstimmen-CDs), ist nur bedingt möglich: Es fehlt das ganze „Umfeld“, u.a. die Hintergrundgeräusche von Verkehr, Blätter-Rauschen, sowie das Durcheinander von Stimmen mehrerer Arten. Hier heißt es wirklich: „Übung macht den Meister“.

Ich habe während des Studiums über mehrere Jahre die Exkursionen für Anfänger (das waren schon in den 1960er Jahren zu wenige!) freiwillig mitgemacht. Dann im Beruf konnte ich, obwohl kein „Orni“, selbst solche Exkursionen leiten und wenigstens die häufigeren Arten vorstellen.
Schön war, dass unter den Studierenden öfter mal ein Hobby-Ornithologe war, der dann auch auf seltenere Gesänge hinweisen konnte. Da habe ich so einige Vogelstimmen hinzu gelernt! ;)

Hilfreich kann es sein, auf Exkursionen verschiedener Naturschutz-Organisationen mit zu gehen; das habe ich auch unseren Studierenden immer empfohlen. Es dürfte jetzt mit der Lockerung der Corona-Einschränkungen auch wieder möglich sein (Abstand halten! - Aber da hört man umso besser ;) ).
Und noch etwas, ganz allgemein: Ein sehr oft gehörter Einwand von Teilnehmern ist: „Ich kann das nicht lernen; ich bin unmusikalisch!“ - Das gilt nicht. Ich selbst bin absolut unmusikalisch, aber habe keinerlei Probleme mit Vogelstimmen.

Ich wünsche Dir viel Erfolg im Studium!
MfG,
Merkur
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Re: Zoologische Exkursionen im Schatten von Corona

Beitragvon Antkönig » Donnerstag 11. Juni 2020, 15:47

Hallo Merkur,
Vielen Dank! Ich habe in der jetzigen Situation sogar noch mehr Glück als andere Studenten. Da ich kurz vor dem Ende meines Bachelors stehe, habe ich nur noch kleinere Module zu absolvieren. Andere müssen teilweise sogar gerade ihre Berufspraktika von Zuhause aus machen (wie auch immer das möglich sein soll).
Es würde mir sehr weiterhelfen wenn man einen Vogel hört und diesen nicht erkennt, jemanden dabei zu haben der dann diese bestimmt und erklärt wieso es gerade dieser Vogel ist (gleiches gilt für Insekten oder Pflanzen). So würde man wahrscheinlich auch deutlich schneller Vogelstimmen lernen.
Guter Hinweiß, ich werde mich mal in meinem Umkreis nach angebotenen Exkursionen umschauen. Bei mir wäre musikalisch nicht einmal das Problem, aber schwer bleibt es trotzdem. :)

Viele Grüße,
Antkönig
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