Bestimmung der Mittelwerte, Hochrechnungen und die Realtität
I) In diesem Jahr bin ich am Nachmittag etwas früher unterwegs und dabei ist mir aufgefallen, dass die Raubzüge der Amazonen (Polyergus rufescens) teilweise früher beginnen, als in der Literatur angegeben. Bei Seifert 331 ist zu lesen: "...der eigentliche Raubzug mit Massenrekrutierung beginnt zwischen 15:45 und 18:00..." In den letzten 2 Tagen habe ich bei 2 Nestern in völlig unterschiedlichen Habitaten frühere Beginnzeiten festgestellt:
Nest A: 15:10 auf Halbtrockenrasen, Südexposition in 740 m Höhe bei besten Bedingungen (heiter, 27°C)
Nest B: 15:22 im Schneeheide-Rotföhrenwald, ca. 490 m bei besten Bedingungen (heiter, 29°C)
Daraus schließe ich, dass eine Formulierung des obigen Zitates etwas flexibler formuliert werden sollte, etwa so: "der Raubzug mit Massenrekrutierung beginnt im Zeitrahmen ab 15:00 bis etwa 18:00. (Alle Zeitangaben entsprechen der Normalzeit)
2. Gestern waren wir im Team mit einem Profi-Filmer unterwegs, der einen Raubzug filmen wollte. Ich habe ein Gebiet ausgewählt, wo 2 "verlässliche" Nester in geringer Distanz zu einander liegen (ca. 200 m Entf.), sodass eine höhere Erfolgswahrscheinlichkeit gegeben erscheint. Zeit: ab 16:00 (also Normalzeit 15.00). Tatsächlich begannen hier die Raubzüge erst gegen 16:00 (Normalzeit) und das Experiment wurde zum Fiasko: 2 hintereinander geführte Raubzüge eines Nestes endeten nach vielleicht 15/20 m im Nirgendwo: Ohne jede Störung unsererseits endeten die Züge ohne Auffindung eines Zielnestes und wurden daraufhin abgebrochen. Die 2. Nestpopulation startete einen rasanten Marsch durch einen heuer sehr dichten Halbtrockenrasen (wegen reichlicher Niederschläge im Mai/Juni) etwa 50 m weit und ist dann ebenfalls ohne ein Zielnest zu finden umgekehrt. So einen "konzentrierten" Vorgang habe ich in 20 Jahren Beobachtungszeit bisher nicht erlebt. Warum ich das hier überhaupt schreibe?
Bei Seifert 331 lese ich: "Große Poyergus-Kolonien erbeuten an 33 Rauzügen bis 40.000 Sklaven pro Sommer". Ich weiß nicht, welche Angaben hier als Quellen dienten, aber ich halte die Zahl für unrealistisch, weil:
1. auf einen Raubzug im Durchschnitt über 1200 erbeutete Puppen kämen
2. Fehlläufe wie oben geschildert bei allen Raubzügen immer wieder einmal vorkommen, wenn auch nicht in jener Dichte, wie bei dem geschilderten Fall
3. relativ häufig auch junge Nester geplündert werden, die über nicht so viel Brut im Puppenstadium verfügen
4. immer wieder Nester heimgesucht werden, die vor Tagen oder 1, 2 Wochen schon einmal geplündert wurden und kaum Puppen aufweisen
5. auch bei durchaus erfolgreichen Plünderungen nicht immer alle Amazonen mit Beute beladen heimkehren
Mit anderen Worten: Bei der oben erwähnten horrenden Zahl von 40.000 wurden sämtliche Risikofaktoren, Fehlschläge und "Überraschungen" (wie z. B. ein irrtümlicher Angriff auf ein Formica-Nest) außer Acht gelassen.
L.G.